Michael Krüger, Einmal einfach

michael krüger, einmal einfachAls das Reisen noch nicht mit der Maus geplant werden musste, bestellte man für besonders intensive Ausfahrten das Ticket „einmal einfach“. Darin war immer eine makabre Anmerkung für den Tod versteckt, dass man vielleicht nicht mehr zurückkommen wolle.

Michael Krügers „Spätgedichte“ haben etwas von dieser Annäherung an den Tod. Die Gedichte sind ein Anschleichen an die letzten Dinge, die man sich noch einmal kurz anschaut, ehe man vielleicht gar nicht mehr zurückkehrt in die alte Welt und vielleicht hinüberwechselt in einen anderen Zustand. So entstehen letztlich „viele Fragen, die keine Antwort brauchen.“

Die Einfach-Reisen sind in vier lyrische Jahreszeiten um Begriffe gruppiert wie Poesie, Herbst, Schattenwirtschaft, Träumerei. Durchgehendes Notiz-Material begleitet die Reisen quer durch den Kontinent, zurück in die Kindheit, voraus in das Jenseits, schräg hinüber zu den Dichtergenossen, von denen die meisten schon das Ticket gelöst haben. Die Gedichte verkleiden sich immer als flüchtige Notizen, dabei sind sie natürlich fein komponiert und kunstvoll arrangiert.

In scheinbar wohlvertraute Bilder sind zeitgeschichtliche Irritationen eingebaut wie in jenen Herbst 2015, als die Nacht mit bloßen Füßen durch das Gras schleicht und es wie immer aus vollen Kübeln schüttet. Aber dieser Herbst ist anders.

Flüchtlinge, leere Rucksäcke / über der Schulter, / tragen die Kälte durchs Land. // Einer zeigt eine Fotografie herum / von der Sonne überm Meer. / Seit er an Land ist, / lässt sie sich nicht mehr blicken. (36)

In einer Bündelung von Einfachreisen treten die einzelnen Ortschaften ineinander über, aus Skopje werden die Abruzzen, das lyrische Ich steigt in Hannover ab und liegt knapp zehn Seiten später schon wieder im Hotel Kanet in Mazedonien. Und in den Träumen erst, da ist die Zeit vollends aufgehoben, eben noch am Wasser liegt jetzt das Haus ort-los in Schönheit da, eine Fliege wechselt zu einem anderen Gott, es gibt nichts, was wir schon kennen, und dann sitzen da welche am offenen Fenster:

Manche hocken, Rücken an Rücken / mit ihren glanzlosen Büchern, / und sinnen auf Rache. / Der Abend zieht vorbei, / er sammelt die Toten einfach ein / bei offenem Fenster. (107)

Die jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem Literaturbetrieb geben auch im Spätwerk keine Ruh, und wie Alpträume fließen noch die diversen Ratschläge für Dichterlesungen aus den Aufzeichnungen:

Man muss leise sprechen, / immer leiser / um nicht von allen gehört zu werden. (81)

Das ewige Herumreisen wird vielleicht auch irdisch noch einmal belohnt:

Am Ende des Lebens / wird dir ein Tag geschenkt, / den darfst du verprassen / am Bahnhofsbuffet / zusammen mit den Tauben und Spatzen. (45)

Michael Krügers Gedichte sind tatsächlich Einweg-Tickets, einmal gelesen, willst du nicht mehr hinter diese Gedichte zurück.

Michael Krüger, Einmal einfach. Gedichte
Berlin: Suhrkamp Verlag 2018, 130 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-518-42798-9

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Michael Krüger, Einmal einfach
Wikipedia: Michael Krüger

 

Helmuth Schönauer, 20-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Michael Krüger

Buchtitel

Einmal einfach. Gedichte

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Suhrkamp Verlag

Seitenzahl

130

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-518-42798-9

Kurzbiographie AutorIn

Michael Krüger, geb. 1943 in Wittgendorf, lebt in München.