Arthur Isarin, Blasse Helden
Je heftiger ein Rohr ums Eck gebogen wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es leckt und eine gigantische Gaswolke austritt. Wenn die Geschichte ums Eck biegt und einen Systemwechsel vorschlägt, entstehen in der Begleitliteratur die wildesten Helden und Geschichten.
Arthur Isarin gibt seinem Anton aus Deutschland die Chance, im Russland des Systemwechsels in den 1990er Jahren jede Menge Oligarchen, Putsch, Gewalt und Geschäfte zu erleben. Und der romantische Held darf sogar überleben und und am Schluss sagen, es waren die besten Jahre seines Lebens.
Der romantisch Gebildete und an Gogol und Lermontow geschulte Anton wird von einem Investor eingeladen, das Russland als Außenstehender zu analysieren und entsprechende Geschäfte vorzubereiten. Das Land ist außer Rand und Band, die Sowjetunion ist passé, Jelzin als Marionette von Oligarchen installiert und sonst herrscht das Faustrecht. Die Unordnung macht auch den Bandenführern und Investoren zu schaffen, denn es ist immer nur eine Sache des Preises, ob die Bodyguards über Nacht die Seite wechseln und den bisherigen Schutzbefohlenen im Morgengrauen beseitigen.
Anton lässt die Sau heraus, ist jede Nacht bei einem Event, in der Früh muss er sich manchmal telefonisch erkundigen, ob etwas Besonderes passiert ist, für das er sich entschuldigen müsste.
Die Sitten sind rau und brutal. Als der Held mit einer Tages-Freundin unterwegs ist, soll diese vergewaltigt werden. Sie droht den Angreifern damit, dass sie sich anscheissen werde, dann müssen sie den Dreck vergewaltigen. Die Typen lassen ab, zumal in diesem Fall der Alkohol den entscheidenden Tipp an die Hormone gegeben hat. Jemand hat Geburtstag und der gemietete Tanzbär haut ab und strolcht durch das Viertel.
Großen Gewinn verspricht ein Iridium-Geschäft, aber dann stürzt die Aeroflot-Maschine mit der wertvollen Phiole ab. Als ein Hafen in der Ukraine gekauft werden soll, ist nicht klar, welcher, der Ort hat nämlich einen Fluss- und einen Meerhafen. Den Investoren ist es egal, Hauptsache Hafen. Die Flugbegleiterinnen leben von den Servicediensten im Hotel, vom Flug am Tage kann niemand mehr leben. Eine Friseuse in prekären Verhältnissen bietet eine tolle Nacht, wie man es sich im Film vorstellt.
Die Helden sind tatsächlich alle blass, entweder, weil sie kein Tageslicht sehen, oder erblassen, wenn sie die Kontobewegungen der Nacht analysieren. Putin liegt in der Luft und wird die Macht übernehmen. Anton verlässt das Land und merkt schon am Flughafen, dass er alle Privilegien der Oberschicht verloren hat.
Der Held verblasst angesichts der historischen Ereignisse, deren Auswirkungen vielleicht noch immer nicht entschieden sind. Russland ist in einem Schwebezustand, das Land hängt über der Bevölkerung, die ums tägliche Überleben kämpft. „Alles Leben ist Problemlösen.“ (294) Anton gießt sich in guter Erzählposition im Flieger nach Berlin den Whisky ein.
Arthur Isarin, Blasse Helden. Roman
München: Knaus Verlag 2018, 317 Seiten, 22,70 €, ISBN 978-3-8135-0777-5
Weiterführende Links:
Knaus Verlag: Arthur Isarin, Blasse Helden
Wikipedia: Arthur Isarin
Helmuth Schönauer, 12-03-2018