Udo Kawasser: Ache

udo kawasser, acheWas als Wort kurz wie ein Seufzer klingt, ist als Vorbild einer Studie für die Sinnesorgane und hat die Länge von 67 Kilometern.

Udo Kawasser nimmt den heimatlichen Fluss der Bregenzer Ache als Modell, um daran seine Schreibkunst, seine Ideen, seine Erinnerungen und seine Fähigkeiten zu schreiben auszuprobieren. Etwa drei Jahre lang besucht er zu allen Jahreszeiten die Ache, hält sich am Ufer auf, steigt manchmal in die Erinnerung zurück und manchmal auch ins Wasser hinein.

Dabei tauchen schöne Fügungen aus der Kindheit auf, wenn die Kids in den Strudel gegangen sind, das heißt im Sommerwasser kurz abgetaucht sind.

Die Wiederholung ist wie die Rückkehr eine Übung in Genauigkeit. Nichts erschöpft sich in einem Blick. (10)

Die Ache ist beim ersten Anspazieren eine ideale Schreibvorlage, man kann sich das Ufer entlangschreiben, ohne über das Wasser zu sprechen. Über allem schwebt die Frage: Die Ache was? Bearbeiten, schildern, dichten? (15)

In der nächsten Jahreszeit kommt dann doch wieder das Wasser ins Spiel, tagelang gilt es jenen Augenblick zu erhaschen, wo es opak wird. Wie in einem Kunstspiegel treten plötzlich die Sedimente ans Tageslicht und laichen ab als großer Schlick.

Allerheiligen merkt man am Sonnenstand und an den erfrorenen Fingern, die in der Kindheit immer kalt und steif geworden sind, wenn es auf die Gräber ging. Die Ache verfestigt sich dann zu einem Gefühl, das über die Finger in den Körper einsickert.

Im April schließlich treiben die Zweige aus, um sich im Wasser zu spiegeln. Alles blüht, und man muss ein Gedicht wie eine botanische Liste anfertigen, worin alle Blüh-Sorten verzeichnet sind.

Die Zeit ist für die Ache nichts. Es ist der Beobachter, der sie misst und vergleicht, zwei Jahre schon können ein ganzer Zeitsprung sein. Der Versuch ist vielleicht eine besondere Art des Zeitvertreibs.

Die Ache spricht hier, und lange scheint es mir, als würde sie gurgelnd immer wieder zum gleichen Satz ansetzen, ohne ihn je zu Ende sprechen zu können. Sehe genauer hin und bemerke: es ist die Bewegung, die spricht. (77)

Der Versuch hat keinen Anfang und kein Ende, jedes Mal, wenn der Beobachte seine Ache trifft, rinnt sie durch seine Existenz. Alles fließt durch ihn, wenn er so beobachtet. Wie ein schwerer Ast, von Wasser vollgesogen, bricht der schreibende Beobachter ab. „Ach!“ (86)

Es ist ein Seufzer, in dem das ganze Leben liegt.

Udo Kawasser, Ache. Ein Versuch
Wien: Sonderzahl Verlag 2018, 86 Seiten, 14,00 €, ISBN 978-3-85449-494-2

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl Verlag: Udo Kawasser: Ache
Wikipedia: Udo Kawasser

 

Helmuth Schönauer, 15-04-2018

Bibliographie

AutorIn

Udo Kawasser

Buchtitel

Ache. Ein Versuch

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

86

Preis in EUR

14,00

ISBN

978-3-85449-494-2

Kurzbiographie AutorIn

Udo Kawasser, geb. 1965 am Bodensee, Studium in Innsbruck, lebt in Wien.