Stefan Kutzenberger, Friedinger

stefan kutzenberger, friedingerDie Fiktion ist ja per se etwas Farbloses und Diffuses, das erst beim Lesen Konsistenz erlangt. Im Falle von schwerer Fiktion entsteht daraus ein Kosmos, der sich zu einer handfesten Figur verdichtet.

Stefan Kutzenberger hat einen raffinierten Erzählplan. Er geht scheinbar autofiktional in die Figur des Stefan Kutzenberger über, der eine schwere Schreibkrise durchmachen muss, weil er eigentlich bloß Vater in einer glücklichen Familie sein will. Stark lastet die Sendung auf ihm, ein Schriftsteller sein zu müssen, seine Frau hat Mitleid und schenkt ihm eine Auszeit, er darf in Kreta befreit von der Familie einen Schreiburlaub zelebrieren.

Kutzenberger sitzt also beim Griechen in Kreta und kommt wohl in Urlaubs- nicht aber in Schreibstimmung. Abgelenkt wird er von einem gewissen Friedinger, der ebenfalls aus Linz ist und ihm ungefragt ein paar Stunden lang Filme erzählt, wie sich andere vielleicht Witze oder Aufrisse erzählen.

Natürlich dürfen bei so einem Programm die echten Girls nicht fehlen, zwei junge Frauen aus Frankreich stehen auf Konversation, und mit einer ergibt sich sogar etwas Haptisches, was vielleicht aber auch nur ein Alptraum aus der Kindheit ist.

Der Schreiburlaub nämlich ist so intensiv, dass er sich selbständig macht und ins echte Leben des Kutzenberger einrückt. Obwohl die Film-Erzählungen schon längst passé sind, wirken sie als Friedinger weiter. Dabei handelt es sich im Kern um die Ermordung eines ehemaligen VOEST-Managers im Zusammenhang mit einem illegalen Kanonenexport. Der erzählende Friedinger nämlich ist der Ansicht, dass man keinen Stoff der Welt mehr braucht, wenn man diesen VOEST-Stoff hat. Rund um den Mord sind nämlich alle österreichischen Zutaten, Philosophien und Lebenshaltungen ideal ausgelegt, so dass man sie in einer Schreibkrise bloß noch abzuschreiben braucht.

Die Friedinger-Sequenzen sind wahre Eiergranaten der Erzählkunst und gehen ununterbrochen los. Dabei verlassen sie an manchen Tagen die Textebene und kristallisieren zu einem vollkommenen Objet-trouvé aus, das sich in jenem Museum sehen lassen könnte. Nicht umsonst hat der Schreibgestörte früher in Museen gearbeitet. So sieht man als Leser einmal den Bücherei-Stempel eines Buches, das nicht mehr zurückgegeben worden ist. Als in einem Seitenstrang jemand von Fernost erzählt, taucht ein Bild eines Gefangenenaustauschs im Indonesien von 1949 auf. Und dann sieht man tatsächlich noch die Gegensprechanlage des Hauses Friedinger in Linz.

Letztlich erzählt der Roman von einer heldenhaften Verwahrlosung in der Fiktion. In der Vermengung aus Schreibkrise, unbestellter Erzählung, Verdrängung von Stoff und Gewähren-Lassen ungeplanter Ereignisse erfahren wir ein Stück Nahkampf eines Vaters, der am Schluss von allem genug hat und nur mit den Kindern eine Runde spielen und witzeln will. Gegen dieses echte Leben, auch wenn es als idyllischer Kupferstich aus dem digitalen Display herauskriecht, verblasst jede Literatur.

Bin 46 Jahre alt, sehe mich als Schriftsteller und schreibe nichts! (18)

Es braucht lange, bis man diesen Satz auch leben darf. - Eine wunderschöne Abrechnung mit dem Dichtergetue, das landauf-landab aus den Buchhandlungen nässt.

Stefan Kutzenberger, Friedinger. Roman
Wien: Deuticke Verlag 2018, 256 Seiten, 22,70 €, ISBN 978-3-552-06364-8

 

Weiterführender Link:
Deuticke Verlag: Stefan Kutzenberger, Friedinger

 

Helmuth Schönauer, 09-04-2018

Bibliographie

AutorIn

Stefan Kutzenberger

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Deuticke Verlag

Herausgeber

Friedinger

Seitenzahl

256

Preis in EUR

22,70

ISBN

978-3-552-06364-8

Kurzbiographie AutorIn

Stefan Kutzenberger, geb. 1971 in Linz, lebt in Wien.