Stefan Schmitzer, liste der künstlichen objekte auf dem mond

stefan schmitzer, liste der künstliche objekte auf dem mondDie sogenannte Raumfahrt ist wahrscheinlich mindestens so sehr ein kulturelles Projekt, wie sie ein physikalisches ist.

Stefan Schmitzer geht in seinem „Langgedicht“ von der Größe einer Umlaufbahn von der Überlegung aus, dass jene Objekte, die ständig ins Weltall geschossen werden, durchaus auch Träger von Botschaften sind. Und was hindert uns anzunehmen, dass es sich dabei um Poesie handelt?

Die Liste der künstlichen Objekte auf dem Mond ist chronologisch komponiert, es beginnt mit „Lunik 2“ im Jahre 1959 und endet mit „Chang’e 5“ im Jahr 2020. Schon die Bezeichnung der Objekte weist auf die jeweiligen Abschuss-Nationen hin, die Sowjetunion schickte einst die Luniks gen Himmel, das chinesische Reich nennt seinen Triebkopf am Mond Chang’e, was so viel wie Göttin des Mondes heißt. Dazwischen liegt viel lunare Poesie aus den USA, die nach dieser Lesart sogar Astro-Poeten auf den Mond geschickt haben.

Der Liste sind zwei Bemerkungen vorangestellt. Einmal wird aus mineralogischer Sicht darauf hingewiesen, dass es sich bei sogenannten Regolithen um verwittertes Gestein handelt, das an Ort und Stelle den Geist aufgibt. Der Sinn des Treibens im All könnte also darin bestehen, als Regolith die Zeit auszusitzen. In der Sprache der romantisierenden Menschen wird anschließend darauf hingewiesen, dass es sich bei der blickhaften Begegnung mit dem Mond letztlich nur um ein besonderes Aufeinandertreffen von Subjekt und Objekt handelt. Jede Zeit sieht ihren Mond anders.

Die einzelnen Lunar-Missionen erfüllen in den vergangenen Jahrzehnten diverse Aufgaben, die an die jeweilige Weltlage geknüpft sind. So gleicht das erste Objekt um 1959 nicht umsonst einer Sprengkapsel, weil man sich nichts anders vorstellen konnte als den Weltraum mit waffenähnlichen Mitteln zu „erobern“.

Mit der physikalisch messbaren Ausweitung des Areals geht auch eine Ausweitung der Sprache einher. So übernimmt der erste Trabant, der 1966 um den Mond kreist, das Vokabular der Kreisbewegungen, die bisher ausschließlich dem Mond zuteilgeworden sind. In der Praxis bedeutet das eine Überlagerung von Bedeutungen, wenn plötzlich eine seit Jahrhunderten bewährte Projektion auf ein konkretes Objekt gelenkt wird, das in einem Labor günstigstenfalls als Kunstobjekt entworfen worden ist. Der Übergang zwischen künstlich und Kunst wird mit jeder Mondumkreisung dichter.

Die einzelnen Objekte sausen in der Folge nicht bloß für sich allein um die Fixpunkte ihrer Missionen, sie korrespondieren untereinander und es kommt sogar die Fügung auf, dass die einzelnen Objekte wie Geschwister in inniger Beziehung stehen, nachdem sie ihre Werkstatt verlassen haben und auf den Mond geschossen worden sind.

Berührend fällt natürlich jene Szene aus, als ein Hund ins All gefeuert wird und zum kurzfristigen Überleben plötzlich eine persönliche Ansprache braucht, statt eines bloßen Signals.

Längst haben es manche Protagonisten dieser Mondliste in die Sphäre von Kunst, Literatur oder Sciencefiction geschafft, wie etwa jene berüchtigten Apollo-Missionen, die knapp am Scheitern den Urstoff für Katastrophenfilme ablieferten. „Houston, wir haben ein Problem!“

In der letzten Konsequenz setzt sich das irdische Programm auf dem Mond fort. Beispielhaft sind die chinesischen Satelliten ausgedacht, die ein vollkommenes Überwachungsprogramm ausrollen. Der Mond wird nach dieser Lesart zu einem Misstrauens-Objekt, das man mit Überwachung einfangen und kontrollieren kann. Was auf dem Mond funktioniert, funktioniert auch auf der Erde und umgekehrt.

Stefan Schmitzer wählt für sein Vorhaben einer sprachlichen Transformation des Weltraumgeschäfts die bewährte Form des Langgedichts. Seit den Beatniks bewährt sich dieses poetische Grenzgenre zwischen Drama und Epik, wenn eine große Epoche dargestellt wird, worin die Sehnsüchte täglich neu formuliert und bedient werden müssen. Gleichzeitig weitet sich mit der Versuchsanordnung des Langgedichts der Sprachgebrauch aus. Den jeweiligen physikalischen Objekten wird der passende Sprachgebrauch hinterhergeschossen.

Auf dem Mond liegen also nicht nur unzählige Objekte, Trümmer und künstliche Partikel, sondern auch ganze Kataloge von Wörtern, Illusionen und Sprachanwendungen herum. Historisch gesehen betreibt der Mensch schon seit Jahrtausenden Mondlandungen, indem er Wörter auf den Mond schießt in der Hoffnung, dass dadurch etwas auf der Erde besser erklärt werden könnte.

Stefan Schmitzer, liste der künstlichen objekte auf dem mond. Gedicht
Klagenfurt: Ritter Verlag 2021, 94 Seiten, 14,90 €, ISBN 978-3-85415-626-0

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Stefan Schmitzer, liste der künstlichen objekte auf dem mond
Wikipedia: Stefan Schmitzer

 

Helmuth Schönauer, 22-11-2022

Bibliographie

AutorIn

Stefan Schmitzer

Buchtitel

liste der künstlichen objekte auf dem mond. Gedicht

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

94

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-85415-626-0

Kurzbiographie AutorIn

Stefan Schmitzer, geb. 1979 in Graz, lebt in Graz.