Manfred Chobot, Das Hortschie-Tier und die Lurex-Frau

manfred chobot, das hortschie-tier und die lurex-frauDie aufregendsten Texte sind einerseits überall anzutreffen, wo man sie nicht sucht, andererseits findet man sie garantiert nicht in einer geordneten Schublade. In einer Bibliothek stehen solche Überraschungen am ehesten zwischen den Regalen und außerhalb der Ordnung eines Alphabets.

Manfred Chobot ist Spezialist für Überraschungen, die scheinbar immer schon da sind. Einmal schürft er als Dialekt-Magier spontane Fügungen ans Gesprächslicht, ein andermal bringt er während einer Recherche die Dinge zum Sprechen, und am verlässlichsten ist er an der Kante zwischen Traum und Wachsein, Findung und Erfindung, wahr und wahrscheinlich anzutreffen.

Seine aktuellen Phantasmen nennt er Hyper-Texte, mit Bindestrich zu schreiben, denn sie wirken landläufig einfach super, hyper, genial. Wenn man sie ohne Bindestrich schreibt, gehören sie der IT, sagt der Autor in einem Interview, dann wären sie so etwas wie ein Hyperlink, mit dem man durch die Meta-Ebenen durchstechen kann.

Etwas von diesem „Durchstechen“ haben auch die gut 130 Geschichten, die wie in einer Bar aus 13 Zapfhähnen fließen. Die Geschichten entwickeln dabei ihr Thema erst, während sie in Gang gebracht werden, und da hilft dem Autor seine mündliche Kompetenz. Er ist ein begnadeter Drifter, Surfer und was es sonst noch an Sportarten gibt, die er, dem Wassersport entstiegen, in die Literatur eingebracht hat.

Wenn die Phantasie in die Gänge kommt, kann man höchstens noch den Ausgangspunkt einem Thema zuordnen, das daraus Folgende ist Eruption, die sich jenseits aller Schwerkraft bergauf und bergab entwickeln kann.

Die meisten Wunderkrater, aus denen die Geschichten plötzlich loslegen, liegen auf dem Gebiet des Reisens, des repräsentativen Getues, der kulturellen Happenings, der flächendeckenden Irritation und vor allem der Begegnungen inklusive Liebe.

Die sogenannten Begegnungen gehen fließend in Erotik über, manchmal ist auch etwas handfestes Gerät dabei, sodass die Geschichte mit dem Jugendschutz in Konflikt geraten könnte. Aus diesem Grund gibt es bei gefährlichen Erzählstrecken mit erotischen Kurven jeweils Altersangaben, die von fünfzehn-ein-viertel bis fünfzehn-ein-halb reichen, absurd genau, wie eben Altersangaben so sind.

Die sogenannten Kapitelüberschriften zeigen sich per se als Hyper-Texte, wenn etwa Sprichwörter den Geist aufgeben und es plötzlich gilt, ein „U für ein X vorzumachen“, „Triebe mit Liebe“ zur Schlagzeile werden, „Turtle mich Taube!“ eine Anmache vortäuschen und sinnlose Headlines aus dem Boulevard die Welt auf den Kopf stellen. „Die Verdoppelung hat sich halbiert“, heißt es halb-logisch, und der Schmäh kaum noch auf, weil sich durch die große Seuche eine semantische Long-Ohnmacht eingeschlichen hat.

Die Wirkungsweise der Texte muss letztlich der User selbst in sich auslösen, je nachdem, wie glaubwürdig er die vorgetragene Sache hält. (Das Genderproblem löst der Autor elegant, indem er fallweise die alten Geschlechtssymbole Kreis mit Pfeil und Kreis mit Kreuz in Klammern einführt und auf stumm stellt.)

Die auftretenden Helden haben durchwegs Namen aus der Literatur- Kultur- oder Universalgeschichte, man kann sich nun überlegen, ob der Ich-Erzähler tatsächlich mit Schönberg eine Oper geschrieben hat, oder ob es ein anderer Schönberg ist, der vielleicht bei Tageslicht als Hausmeister arbeitet.

Der Erzählduktus steht immer unter Spannung und verträgt keinen Abbruch. Im Zweifelsfalle wird ein Name aus dem nächstbesten Speicher im Kopf abgerufen und wie selbstverständlich verwendet. – Menschen mit Erinnerungslücken greifen oft auf dieses fließende Memorieren von Phantasienamen zurück. Besonders bei forensischen Verhören lassen befragte Zeugen oft einen Schwall von Helden los, die einen Sachverhalt durchaus gestaltet haben könnten.

Nicht nur die Schärfe und Glaubwürdigkeit von Namen muss sich der Leser selbst zumuten, auch physikalische Gegebenheiten können durchaus mit gutem Satzbau überwunden werden. So küsst beispielsweise eine Assistentin den Zahnstein weg, als sich dieser nach herkömmlicher Methode nicht entfernen lässt. – Ein Verleger, der mit seinem Buchdepot überfordert ist, lässt dieses samt Schloss wie in einem Märchen abbrennen. – Eine Hexe wird unter echtem historischen Namen verbrannt, aber niemand regt sich auf, weil sie niemand kennt. – Bei einem Ausflug werden plötzlich Lessing und Konsorten nach einer Übersetzung gefragt, dabei gilt es nur, mit dem Boot überzusetzen.

Der Ich-Erzähler stürzt sich manchmal diskret ins Phantasiegewusel, manchmal ordnet er das Chaos, damit der Plot aus dem Letten gezogen werden kann, an anderer Stelle wird er zum staatstragenden Helden, wenn er etwa die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek am Gehsteig trifft und erfreut.

Ein Hyper-Text kann jede Situation retten, so scheint es, weil er für jede Situation mit einem skurrilen Ausweg Habt-acht steht.

Und was ist mit den rätselhaften Figuren, die am Cover stehen? – Sie sollen vor allem Neugierde erwecken, indem sie den Leser wach halten. Niemand wird das Buch beiseite legen, ehe er nicht auf „hyper-textlich“ erfährt, worum es sich handelt. Nur so viel, sei hier verraten, beide, Hortschie-Tier und Lurex-Frau, kommen im Text tatsächlich vor und haben eine schräge Wendung ihres Auftritts im Sinn.

Walter Schmögner ist von ähnlichem Phantasieholz geschnitzt wie Manfred Chobot, weshalb er Zeichnungen in den Text platzieren kann, als wären sie nur eine andere Gestalt von „hyper“. Selbst als Zeichnungs-Dilettant ist man hingerissen, wenn man sieht, wie logisch Phantasie in der Graphik funktioniert. Bei einer Fee geht das Kleid in Wurzelwerk über, welches Strahlen eines Raketenschubs ausstößt. – Ein Portal zu einem geheimen Zugang beginnt vor den Augen des Betrachters zu verwachsen. – Ein Paar hat sich nichts zu sagen und spricht über sich mit Hilfe der Tandem-Frisur, die zu einem Vogelnest hochgesteckt ist.

Das Problem bei Hyper-Zeichnungen und Hyper-Texten ist, dass man nicht mehr herauskommt, wenn man einmal von ihnen verzaubert worden ist. Manfred Chobot probiert es mit der ungemütlichen Art: Der Icherzähler bittet den Komponisten Schönberg, durch Musik die Zeit zu beschleunigen. Aber genau das kann die Zwölftonmusik nicht. So bleibt die Tür offen hinaus in die sogenannte Realität.

Manfred Chobot, Das Hortschie-Tier und die Lurex-Frau. Hyper-Texte, Zeichnungen von Walter Schmögner
Oberwart: edition lex liszt12 2022, 370 Seiten, 25,00 €, ISBN 978-3-99016-217-0

 

Weiterführende Links:
edition lex liszt12: Manfred Chobot, Das Hortschie-Tier und die Lurex-Frau
Wikipedia: Manfred Chobot
Wikipedia: Walter Schmögner

 

Helmuth Schönauer, 02-07-2022

Bibliographie

AutorIn

Manfred Chobot

Buchtitel

Das Hortschie-Tier und die Lurex-Frau. Hyper-Texte

Erscheinungsort

Oberwart

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

edition lex liszt12

Illustration

Walter Schmögner

Seitenzahl

370

Preis in EUR

25,00

ISBN

978-3-99016-217-0

Kurzbiographie AutorIn

Manfred Chobot, geb. 1947 in Wien, lebt in Wien.

Walter Schmögner, geb. 1943 in Wien, lebt in Wien.