Kristiane Kondrat, Abstufung dreier Nuancen von Grau

kristiane kondrat, abstufung dreier nuancen von grauRare Bücher jenseits des Massenauftriebs sind oft in eine individuelle Untergrund-Geschichte eingeschlagen oder tragen diese eingenäht im Umschlag herum. Diese Bücher rutschen im Regal auch gerne nach hinten, während vorne an der sichtbaren Kante die Alltagsware den Zugriff verstellt.

Kristiane Kondrats Roman „Abstufung dreier Nuancen von Grau“ ist so ein verstelltes Buch, das von selbst nach hinten ins Regal wandert, weil es ein Leben lang als Geheimnis, Untergrundstück, eingenähtes Mantelmaterial oder aufgesplittertes Informationsgut quer durch den Kontinent und die diversen Regime getragen worden ist.

Als die Autorin 1974 von Rumänien nach Deutschland flieht, hat sie Teile des Romans im Wintermantel eingenäht. Es dauert Jahre, bis auch der Rest in den Westen gelangt ist, aber dann ist noch nichts gewonnen. Es vergehen noch Jahrzehnte, bis der Roman unter dem Titel „Abstufung dreier Nuancen von Grau“ quasi als Prosa-Gegenstück zu den Gedichten „Regenbogen“ (Rumänien 1968) erscheinen kann. Das Pseudonym wird aus Sicherheitsgründen bei der Erstveröffentlichung 1997 im Westen beibehalten, denn der Arm der Securitate ist damals noch lang. Doch der Verlag geht in Konkurs und gibt die Rechte zurück.

So erscheint der Text jetzt erstmals komplett und hat die Schärfe von damals, als er noch in Einzelteile zerlegt in Schubladen des Elternhauses versteckt war. Der Begriff „Schubladenliteratur“ bezeichnet nicht nur eine Kompositionsform, sondern auch eine politische Schutzmaßnahme.

Obwohl der Roman im Titel von Grau handelt, setzt er in grellem Weiß ein.

Die Ich-Erzählerin ist umgeben von der Sterilität einer Krankenstation, über allem liegt das komatöse Flackern sedierter Gemüter, und wenn die Erinnerung einsetzt, handelt sie von einer Schneelandschaft aus der Kindheit, die fließend in ein Leintuch übergeht.

Zwischendurch flattern Sätze der Neugierde und Zudringlichkeit aus dem Nachbarbett auf, auch dort liegt die Patientin offensichtlich nicht freiwillig drin, denn sie spricht dauernd von Tabletten, die abgezählt und herumgereicht werden.

Am Horizont des kalkweißen Zimmers hängt ein Kruzifix und reflektiert in einer Geheimsprache die Wunden aus einem Kreuzverhör, das offensichtlich den Beamten entglitten ist. (15)

In einem Flash zurück in das Grau der Kindheit ist die Erzählerin planlos unterwegs, das Ziel könnte eine Endstation sein, aber vor jeder Straßenbahn stauen sich Warteschlangen und zischeln wie jene damals, als die Menschen aus dem Paradies hinausgezischelt worden sind.

Die Schlange aber war weg und die harmlose, dösende Wartestille wieder eingetreten. (27)

Unerwartet, wie die Bilder gekommen sind, verschwinden sie auch wieder und fügen sich in die öffentliche Ordnung ein wie Wartende in ihre Schlange.

Nein, sie warten auf den Kometen, sagt jemand, der sich dieses Anstellen nicht erklären kann. Eine Frau gibt sich als Dolmetscherin aus und führt die Erzählerin durch die Stadt, aber ihr ist nicht zu trauen, sie könnte von der geheimen Behörde sein.

Mit geschlossenen Augen hörte ich auch, worüber sie sprachen. Über morgen, über übermorgen, eine sprach über gestern. (53)

Die Menschen haben gelernt, über unauffällige Dinge zu sprechen, während sie den Augenkontakt meiden und über eine Brüstung blicken, am unauffälligsten ist zudem der Blick auf eine Haltestelle.

Die Erzählerin kann nicht sagen, wie lange diese Erinnerungen und Flashes schon dauern, einiges geht auf die Kindheit zurück, anderes ist aus einer späteren Zeit, als sie vielleicht einen Freund gehabt hat, Egon, aber ihn kennt sie nur von der Verabschiedung für immer. (77)

Einmal soll es aus der Stadt hinausgehen, aber der Zug bleibt auf freiem Feld stehen und fährt nicht mehr weiter. In der Erinnerung ist es eine besonders Grau, das über dem Feld liegt, ähnlich jenem von Massen, die in graue Kleidung gehüllt sind.

Die Beobachtungsschübe entwickeln einen eigenen Rhythmus zwischen Masse und Individuum, ständig teilt sich die Masse in Einzelsplitter und fügt sich an der nächsten Straßenecke wieder zu einem neuen Grau zusammen.

Mittendrin ist der aufgestellt wie ein Mahnmal oder Wegkreuz: Der Wörterautomat. (83) Aus ihm lassen sich Wörter herausziehen, wenn man genug Münzen eingeworfen hat. Aber meistens sind es leere Versprechungen oder hohle Floskeln, die am Automaten unten herauskommen.

Jemand schleppt sich auf Krücken zum Kiosk, aber das bin ja ich, erschrickt die Heldin, und schon geht es weiter mit Verhören. Den ganzen Gang entlang stehen die Türen offen für Befragungen, jedes Zimmer hat eine eine Nummer, die Erzählerin glaubt, dass sie auf 110 verhört worden ist. Sie weiß mit Bestimmtheit, dass sie in den Zimmern nicht nach Kleinigkeiten fragen, sondern nach dem „Alles“.

Jemand fragt aus der Kindheit heraus, bist du Trudi? Aber wer ist Trudi. Vielleicht die erste Freundin? (148) Die Erzählerin blickt vom Schlittschuhlaufen auf, hinein in das Gebirge, alle diese Schattierungen sind nur Verkleidungen von Weiß. Sie tanzt um die Stelle, an der die Welt anfängt.

Ich hätte nie gedacht, dass ich auf dem Eis tanzen, dass ich so frei sein kann. (151)

Kristiane Kondrat erzählt mit der Schubladenmethode von jener Verstörung, die jemand in einem öffentlichen Raum erfährt, in dem es keinen Schutz gibt. Jeder Satz wird zu einem Frontalangriff, jedes Ausweichmanöver mündet in einem Verhör oder in psychiatrischem Tiefschlaf. Immer wieder wird eine Schublade gezogen und eine versteckte Geschichte herausgenommen. Diese Flecken Text haben keinen Anfang und kein Ende, sie lassen sich überall zusammenfügen zu einem größeren Ganzen, an den Rändern erkennt man die Nuancen von Grau, durch die sie sich voneinander unterscheiden.

Kristiane Kondrat, Abstufung dreier Nuancen von Grau. Roman, mit einem Nachwort von Christina Rossi
Ulm: danube books Verlag 2022, 156 Seiten, 17,00 €, ISBN 978-3-946046-14-1

 

Weiterführende Links:
danube books Verlag: Kristiane Kondrat, Abstufung dreier Nuancen von Grau
Wikipedia: Kristiane Kondrat

 

Helmuth Schönauer, 30-06-2022

Bibliographie

AutorIn

Kristiane Kondrat

Buchtitel

Abstufung dreier Nuancen von Grau

Erscheinungsort

Ulm

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

danube books Verlag

Seitenzahl

156

Preis in EUR

17,00

ISBN

978-3-946046-14-1

Kurzbiographie AutorIn

Kristiane Kondrat (= Aloisia Bohn), geb. 1938 in Reschitz / Rumänien, lebt in Augsburg.