Michil Costa, Raus aus dem Rummel!

michil costa, raus  aus dem rummelTourismus funktioniert meist dort, wo zumindest eine der beteiligten Parteien das Denken eingestellt hat. In den Alpen haben sowohl Anbieter als auch Konsumenten die Reflexion während ihrer Tourismus-Performance eingestellt, weshalb er so prächtig funktioniert.

Michil Costa verwendet einen sehr emotionalen Titel für sein Plädoyer gegen die touristische Monokultur, das „Raus aus dem Rummel“ ist freilich eine Würdigung des eigenen Lebenswerkes mit der Bitte an imaginäre Enkel, es vielleicht doch anders zu machen.

Das Fundament für die Meditationen über einen alternativen Tourismus bietet ein Familienimperium, das aus mindestens drei Hotels in Covara und Siena besteht. Der Ausdruck Familienhotel fungiert als Marke, die dem eingecheckten Kunden das Gefühl vermitteln soll, Mitglied irgendeiner auf herzlich getrimmten Community zu sein.

Das Genre Plädoyer lässt viel Platz für Emotionen, die im Falle des Tourismus meist dadurch geweckt werden, dass man sie auf die Muse der Römer und die Aquarellkunst englischer Adeliger beruft. Längst hat sich nämlich ein Narrativ entwickelt, wonach der Tourismus die einzige Überlebenschance entlegener Gebiete sei, auf den Abschalt-Effekt für eine geschundene Business-Klasse setze und mit der Bildhaftigkeit von Erlebnissen punkte, weshalb das Selfie der eigentliche Motor des Tourismus sei.

Michil Costa erzählt dieses Narrativ mit den Zutaten ladinischer Zeitgeschichte als logisch-harmonische Pipeline, die durch eine schöne Landschaft gelegt ist, um darin Glück zu transportieren.

An dieser Stelle muss man sich als Leser eine paar Zeilen Biographie des touristischen Märchenonkels einblenden: Er ist Präsident der „Maratona dles Dolomites“. 2007 gründet er die Costa Family Foundation, die Entwicklungsprojekte in Afrika, Asien und Südamerika fördert.

In der Festschrift über das eigene Tun wird dann zwischendurch eingeräumt, dass es mancherorts zu viel Rummel gibt, und auch die künstliche Beschneiung bekommt ihr Fett ab, wohl weil sie im Einzugsbereich des Autors keine Rolle spielt. Generell aber lässt sich die Zukunft gut in den Griff bekommen, wenn man oft das Wort Nachhaltigkeit verwendet und mit „Schmäh“ arbeitet.

Lösung für das Rummelproblem: Mehr reden! Der Hausherr muss im Foyer sitzen und den verschwitzen Ausflüglern auf dem Weg zur Bar erzählen, wie schön früher alles gewesen ist. Denn Bildung ist im Tourismus das einzige Kapital, heißt es einmal, freilich ist damit eine romantische Bildung gemeint, die keine Fragen stellt. Und wenn man die richtigen Geschichten erzählt, entsteht daraus Identität. Also eine Art Stolz auf König Laurin und das Matriarchat, das freilich im obligaten Dirndl unterwegs ist, dem längst zum Blaumann der Alpen gewordenen Funktionsdress.

Rhetorisch stellt sich der Autor die Frage: Was kann ich als Hotelier für das Tal tun? Und er zählt auf, dass alle, vom Tischler bis zum Parkwächter von ihm anhängen, auch wenn er nichts täte. Sein Agieren wird also zu einem Bonus, den er großzügig über die Kommune ausstreut.

Ein Schwerpunkt dieses Agierens sollte das Musische sein, also authentische Musik, da ja überall ein Instrument mit entsprechendem Zupf- und Blaspersonal aufgestellt werden kann. Gastfreundschaft wie bei den alten Römern: man liegt um den Pool herum und lässt sich vom Patriarchen was erzählen. Und außerhalb der Hotelanlage sollte alles nachhaltig optimiert werden, also Trails, wo immer es geht, Wanderpfade, Klettersteige, Snackstationen, alles Bio und ohne Auto. Das kommt erst wieder aus der Tiefgarage, wenn es zurück in die motorisierten Tiefebenen des Kontinents geht.

Die Gastfreundschaft sollte auf drei Säulen ruhen: Gemeinwohl, ökologische Nachhaltigkeit und Humanität. Dem Tourismus sollte zumindest mit Worten ein neuer Sinn gegeben werden.

In diese Kerbe schlägt auch das Vorwort des Venedig-Philosophen, der davon schwärmt, dass man nur weit genug in der Geschichte der Philosophen zurückgehen muss, um auf brauchbare Ideen für die Zukunft zu stoßen. (Wer das in jeder Hinsicht überschwemmte und überflutete Venedig qua Panoramakamera im Netz inspiziert, kann die Auswirkungen dieser Philosophie sehen.)

Michil Costas Rummel-Buch ist ein ziemliches Placebo für die Probleme des Tourismus in den Alpen. Die vorgestellten Projekte sind beliebig und in ihrem Eigenlob nicht gerade beeindruckend. Unbewusst stellt der Autor einmal die Frage, ob ein Hotelier überhaupt diese Malaise richtig analysieren kann. – Kann er nicht, sagt man als Leser.

Die entscheidende Fragestellung taucht nämlich nicht auf: Möchte der Hotelier so nächtigen, wie er es selbst hier preist?

Die Konsumenten sind letzten Endes mindestens so schlau wie die Hoteliers, auch wenn diese es noch nicht wahrhaben wollen. Die Klienten durchschauen das homöopathische Wording und lassen den Tourismus in seinem eigenen Wunschsaft braten. Wenn dann die Landschaft kaputt ist, die Luft heraußen und der Rummel in Covara gleich heftig ist wie zu Hause in der Impfstraße, dann wird sich der Tourismus von selbst korrigieren, wenn nicht gar erledigen.

Die Aufgabe eines Plädoyer-Buches kann auch darin bestehen, im Leser eigene Gedanken auszulösen und einen Widerpart zum Autor aufzubauen, und das tut dieses Buch perfekt.

Michil Costa, Raus aus dem Rummel! Ein Plädoyer gegen die touristische Monokultur. Vorwort von Massimo Cacciari. Abb.
Bozen: Edition Raetia 2022, 201 Seiten, 19,80 €, ISBN 978-88-7283-828-0

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Michil Costa, Raus aus dem Rummel!
Salto: Michil Costa

 

Helmuth Schönauer. 11-04-2022

Bibliographie

AutorIn

Michil Costa

Buchtitel

Raus aus dem Rummel! Ein Plädoyer gegen die touristische Monokultur

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

201

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-88-7283-828-0

Kurzbiographie AutorIn

Michil Costa, geb. 1961, führt Hotels in Covara und Siena.

Massimo Cacciari, geb. 1944, ist Philosoph und ehemaliger Bürgermeister von Venedig.