Sandra Hubinger, Von Krähen und Nüssen

sandra hubinger, von krähen und nüssenSeit ewigen Zeiten bevölkern Krähen den Kontinent und werden im Frühjahr mit Geräuschen und Fetzen vom Saatgut verscheucht, im Herbst sind dann sie es, die die Menschen in die Häuser verscheuchen, indem sie ihnen vormachen, im Nebel sei der Tod nahe.

Sandra Hubinger schart in ihrer Kurzprosa immer wieder Krähen um sich und ihre Texte und lässt sie Nüsse knacken. Seit die Vögel generell weniger werden und mit dem Aussterben drohen, denken die Menschen beim Wort Krähen an Versuchsanordnungen, wenn sie die Kreativität von Krähen beschreiben. Man spricht geradezu von der „Kräh-ativität“, wenn man den Vögeln zusieht, wie sie Nüsse knacken und Spielvorgaben mit Leichtigkeit hintergehen und ad absurdum führen.

In den Kurztexten kommt es vordergründig zu spielerischen Versuchsanordnungen, manchmal sind Krähen angesprochen, dann wieder Menschen, die sich geheimnisvoll wie Krähen geben. Vieles gerät zu einem Text-Spiel, indem eine etwaige Handlung erraten werden muss, ein Traum als solcher von der Realität abgeschnitten werden soll, oder indem wie bei einem Würfelspiel die Gedanken-Nüsse ausgerollt werden, ohne genauere Vorgabe.

Während die Texte als Puzzleteile für ein größeres Bild ausgerollt sind, ergibt sich für die Lesenden allmählich der Eindruck einer weit ausholenden Komposition.

Dabei lässt sich die Textdramaturgie eines einzelnen Absatzes auf die Gesamtinszenierung übertragen.

Schon in der ersten Prosa-Eintragung baut sich die seltsame Wirkkraft der Nuss-Texte auf: Ein ordnendes Ich schaut auf eine Baumgruppe und tippt diese als Wörter ab, dabei entsteht eine Musikalität des Tippens, die mit einer Beschädigung endet. Diese Störung setzt sich fort, als das Ich am Fluss steht und Dinge aus seiner Biegung herauszieht wie Wörter, mit denen sich nichts benennen lässt. Dann schält das Ich die Wörter und diese schwimmen wie Felle als Fügung davon.

Diese Grundkonstruktion für das Verfassen von magischen Texten liegt vielen Prosazellen zugrunde, die Teils als Traum ausgewiesen sind, teils als Lehrstück, oder überhaupt als handfestes Motto:

Es begann mit einem Kind, das vor einer Fensterscheibe saß. / Und was es draußen sah, / übermalte es von innen mit dem eigenen Finger. (5)

Mehrmals ändert sich der Erzählstandpunkt, Innenwelt und äußere Vorgänge laufen ineinander über, und das spielerische Knacken der Welt durch den Zeigefinger des Kindes ist eindeutig dem Spiel der Krähen abgeschaut.

Kaum ein Gerät im öffentlichen Raum kann sich der Nutzung durch das Wortspiel entziehen. An der Haltestelle wird ein dickes Seil gespannt, an das die Wartenden festgemacht werden, wenn sie auf die Botenstoffe warten, die sich ähnlich benehmen wie der öffentliche Personenverkehr. (22) Bald darauf wird ein riesiges Paket zugestellt, das alle überfordert. So in etwa kann es Gedichten ergehen, wenn die Adresse mangelhaft ausgefüllt und das Stockwerk unbekannt ist. Das öffentliche Leben ist an manchen Tagen ähnlich organisiert wie Poesie, aus Missverständnissen ergeben sich die besten Geschichten.

Zwischendurch geht das notierende Ich handfester „Krähenarbeit“ nach. Löcher müssen ausgehoben werden, Attrappen aufgestellt, die Erde muss darauf vorbereitet werden, dass sie bald von Vegetation heimgesucht wird. Während dieser Feldarbeit baut sich ein neues Wortfeld auf, das sich hinter den Attrappen auszubreiten beginnt. (26)

Oft erweist sich eine Situation als pure Unmöglichkeit, sie einzufangen oder mit ihr etwas anzufangen.

An einer Bahnstation gingen die Türen nicht auf, und die Leute schauten aus geschlossenen Fenstern, wie der Ort ohne sie liegen blieb. (62)

An manchen Tagen wird überhaupt nichts erzählt, was die Spannung abbauen könnte, die normalerweise zwischen Eltern und Kindern liegt, ehe die Geschichten erscheinen und alle mit ihrer Kraft erlösen.

Eine große Anspannung herrscht auch im Umgang mit den Dingen, die sich stets weigern, das zu tun, was das Subjekt von ihnen verlangt. Beim grotesken Franz Kafka (der ja übersetzt Krähe heißt) wird diese Entfremdung zu den Dingen manchmal als „Tücke des Objekts“ dargestellt.

In der Prosa von Sandra Hubinger werden die Dinge aufgefordert, sich zu outen. „Konkretisier dich, sagte ich zu dem Ding“ (124) Das Ding freilich gibt einen guten Ratschlag, das schreibende Ich soll nicht das Ding beherrschen sondern sich selbst. „Beherrsch-dich!“ wird so zu einem ungewöhnlichen Schreibbefehl.

Sandra Hubinger, Von Krähen und Nüssen. Kurzprosa
Graz: edition keiper 2022, 135 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-903322-68-4

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Sandra Hubinger, Von Krähen und Nüssen
Wikipedia: Sandra Hubinger

 

Helmuth Schönauer, 02-02-2023

Bibliographie

AutorIn

Sandra Hubinger

Buchtitel

Von Krähen und Nüssen

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

135

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-903322-68-4

Kurzbiographie AutorIn

Sandra Hubinger, geb. 1974 in Wels, lebt in Wien.