Fiston Mwanza Mujila, Kasala für meinen Kaku

fiston mujila, kasala für meinen kakuEine magische Botschaft besteht üblicherweise aus einem Schlüssel ohne Schloss. - Im Falle der Literatur freilich entsperrt diese Botschaft das gesamte Buch.

Fiston Mwanza Mujila gibt seinem Gedichtband ein Rätsel als Überschrift: „Kasala für meinen Kaku“. Anschließend verschwindet er ins Buchinnere, um freilich in einem prächtigen Interview seine Theorie einer interkontinentalen Literatur darzulegen. Dabei werden auch die Fachbegriffe für deutschsprachige Lesende erklärt, das Interview ist in der Kolonialsprache Französisch gehalten. Überhaupt handelt es sich beim „Kasala“ um ein „Wendebuch“, je nach Bedarf lässt sich das Buch so halten, das vorne die gewünschte Sprache auftaucht und hinten seitenverkehrt die andere.

Kasala bedeutet auf Tschiluba soviel wie Anrufungen, Beschwörungen und Lobpreis, und unter Kaku (das Rechtschreibprogramm fragt immer nach Kakadu) sind Großvater, Großmutter und Ahnen überhaupt gemeint. Das Geschlecht spielt in der Würdigung und Erinnerung keine Rolle, das lyrische Ich besingt die Großmutter durchaus als männlich, wenn sie die Bars mit ihrem Gesang rockt.

Um das üppig laut bunte Treiben der Poesie Mwanzas ein wenig abzustecken sollte man sich auf die im Interview angesprochenen drei Themen beziehen: Ort – Sprache – Zeit.

Als Orte des literarischen Geschehens hat der Autor Lubumbashi und Graz ausgewählt, beides sind Provinzstädte, die einen gesunden Abstand zur korrupten Kultur der Hauptstädte des Kongo und Österreichs haben.

Orte sind zudem sehr unzuverlässig, denn schon einmal wurden dem Autor die Grundbegriffe politischen Agierens nach einem politischen Putsch mit neuen Wörtern überlagert. Aus dem „Zaïre“ als Staat, Fluss und Währung wurde über Nacht Kongo. Was man als Kind gerade gelernt hatte, musste man anderntags vergessen, sodass sich die meisten gleich auf die Ahnen bezogen haben, denn die sind in ihrer Erinnerungskultur sehr verlässlich.

Die gültige Zeit ist daher die Gleichzeitigkeit, mit der man mit den Vorfahren ins Gespräch tritt. Ein Austro-Song-Fan hat diese Kunst einmal mit dem Song Großvater von S.T.S. verglichen.

Im politischen Gebrauch ist die Sprache an das Französische gekoppelt, das dem Autor als höchstes Lernziel eingeimpft wurde, sogar von den Ahnen. Erst, wer das Französische gut beherrscht, darf in der Sprache der Vorfahren mit ihnen Kontakt aufnehmen.

Der Autor berichtet von seiner Arbeitsmethode, dass er teilweise Vokabel-Listen für die Vorfahren anlegt und Wörter ausprobiert, die es so vielleicht gar nicht gibt. Einige der Lobgedichte bestehen dann auch als bloße Wortsammlungen, die beim Zählen, Beschreiben und Empfinden gute Dienste erweisen können.
Wichtig ist vor allem die Musikalität, denn eigentlich besteht alles aus Musik, was für den europäischen Gebrauch als Gedicht untereinander geschrieben steht. – Aus dieser Arbeitsweise ergeben sich die wesentlichen Themen, nämlich Musik, Bar, Nachtleben, Hitze, Tanz, Trommel, Bergwerk.

Das „Mining“ wird in einem Gedicht besungen wie der Auftritt einer Band, zwischen Bergwerk und Musik gibt es nur den Unterschied, dass das eine bei Tageslicht unter Tag stattfindet, das andere überirdisch bei Nacht. Aushalten lassen sich Musik und Arbeit ohnehin nur durch Trance, die einem jederzeit den Zugang zu den Vorfahren verschafft.

In diesem Kosmos gilt niemand als gestorben, es sind nur verschiedene Anwesenheiten, die den Kaku vom Ich-Erzähler unterscheiden.

Oft sind es kleine Gedichte, die den Zugang zur Weltlage ermöglichen. Im Gedicht „Anna“ wird die göttliche Operndiva Anna Netrebko besungen als eine Kaku, die schon immer mit dem Gesang auf der Welt ist. Nie käme jemand in dieser Atmosphäre auf die Idee, einen politischen Gegenwartsbezug herzustellen. Dieses Überspringen der politicalcorrecntess ist auch ein möglicher Ausweg, um nicht in die vordergründige Falle der Kolonialaufarbeitung zu tappen.

Wenn man die zwergenhaften Orte Lubumbashi und Graz als Erzählstandpunke einnimmt, ist man durch deren Randlage davor geschützt, monolithische Einwegphantasien von politischen Glaubenszentren einzunehmen.

Fiston Mwanza Mujila gilt mittlerweile als anerkannter Theoretiker einer transkontinentalen Poesie. Die österreichische Literatur sollte sich jeden Tag bei ihm bedanken, dass er sie von Graz aus mitnimmt in seine Überlegungen.

Die Gedichte bestehen zu zwei Dritteln aus themenzentrierten poetischen Szenen, im letzten Drittel geht es nach dem Zufallsprinzip durchnummeriert zur Sache.

- „KASALA 56 // in welchem Kuriositätenkabinett / vermodern die Amulette meines Kaku?“ (59)
- „KASALA 5 // man hat Mühe / das zirpende Geschrei der Schürfer von Katekelayi / zu verlernen“ (69)
- „KASALA 100 // weil es die Demokratie will um jeden Preis / haben wir ein Land, das Blut pisst“ (74)

Das Poetische wird sofort politisch, wenn man übungshalber Kasala für einen steirischen oder Tiroler Kaku formuliert.

Fiston Mwanza Mujila, Kasala für meinen Kaku und andere Gedichte. A. d. Französ., übersetzt von Elisabeth Müller, mit einem Interview des Autors von Antoine Wauters
Klagenfurt: Ritter Verlag 2022, 176 Seiten, 23,00 €, ISBN 978-3-85415-647-5

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Fiston Mwanza Mujila, Kasala für meinen Kaku und andere Gedichte
Wikipedia: Fiston Mwanza Mujila

 

Helmuth Schönauer, 10-01-2023

Bibliographie

AutorIn

Fiston Mwanza Mujila

Buchtitel

Kasala für meinen Kaku und andere Gedichte

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Ritter Verlag

Übersetzung

Elisabeth Müller

Seitenzahl

176

Preis in EUR

23,00

ISBN

978-3-85415-647-5

Kurzbiographie AutorIn

Fiston Mwanza Mujila, geb. 1981 in Lubumbashi (DR Kongo), lebt in Graz.