Dine Petrik, Handgewebe lapisblau

dine petrik, handgewebe lapisblauGroßes Stimmungskino kann in der Literatur oft mit einem Farbton umschrieben werden, man denke an die rosa Brille oder den alle Sinnesorgane umfassenden Blues.

Dine Petrik setzt ihre Gedichte hinter eine Linse aus „lapisblau“, fein assoziierend, dass rare Farben oft herhalten für politische Formationen, man denke nur an die Blauen oder die Türkisen. Das Genre „Handgewebe“ deutet freilich auf manuelle Kunstfertigkeit hin, auf Geduld von Gewebe und fein gegliederter Stofflichkeit. Ein mit der Hand geschriebener Text kann so als Textur von einzigartigen Arbeitsschritten gelesen werden.

Die 66 Gedichte sind im Inhaltsverzeichnis als dreigliedriges Tafelbild ausgeschildert, die Kapitel sind überschrieben mit lyrics (7), artgeredet (31) und vertont (49). Alle Begriffe verweisen auf eine spezielle Art, wie man mit Gedichten umgehen könnte. Auf die musikalische Nuance folgt eine auf Kunst gemachte sublime Form, und der weiteste Schallraum ergibt sich, wenn er als Tonsammelsurium schlechthin auftritt.

Die Härte der Vokalisierung, mit der Friedrich Nietzsche im Nachtlied die Menschheit warnt, steht als Motto für „lyrics“, in denen balladenhaft die Entgleisung der Weltlage zur Sprache kommt. „O Mensch gib acht in tiefer Nacht“ mutiert zu einem Schlaflied der Evolution. Beim Versuch, in Frieden einzuschlafen, ist die Menschheit von Steinzeit an in ein Trommeln verfallen, das vom permanenten Irrsinn berichtet. Alles, was auf uns überkommen ist, ist längst in uns festgeschrieben.

Keine noch so schöne Hand kann aus diesem Desaster hinausführen, wenngleich es schöne Szenen gibt, worin das Kind lernt, was man mit einer offenen Hand alles anstellen kann. Mit dem Handy spielen beispielsweise. (11)
Im Wort-Umfeld von „Beirut“ ist oft Alarmierendes ausgestreut, Blut, Schmerz, Desaster, aber heute ist es nur ein Aquarell, worin diese Apokalypse sich auf dem Papier in Schlieren verlaufen hat. Verschwommen erkennbar sind die Insignien der Machthaber, eingeritzt als Tattoo des Schreckens.

Diese Motivlage schlägt zwischendurch Brücken zur Dichtkunst der Hertha Kräftner, die an anderer Stelle von der Autorin mustergültig im Nachklang betreut wird.

Ausleuchten // ein kurzer widerhall / der seele noch in dem gesicht / in eine ferne ohnegleichen // […] // schräg ein lächeln / augen auf das letzte / wort ist nicht gesagt // (Tod Hertha Kräftner, 13.11.1951) (28)

Dieses „Ausleuchten“ ferner Biographien, Poetiken und Lebensentwürfe bedient sich der Farbe „lapisblau“, in der Kälte und Ferne in Wallung verschmelzen. Die Farbe wird während der Meditation zu einer Vibration.

„artgegeredet“ (31) erzählt von Zuständen und Prozessen, welche in den Devotionalien, Artefakten und Alltagsminiaturen eingearbeitet sind. Handlesen, Videos und Fotos sind Verfahrensweisen, die sich erst entfalten, wenn sie wie ein Buch aufgeklappt sind. So braucht es zwei Vorgänge, um aus der Hand „schlau zu werden“, wenn sie das eine Mal Slow Food in die Hand nimmt, und ein andermal Töne aus der Tuba greift. Im nächsten Schritt mutiert die Hand zu einer Grimasse und der Tuba entströmt der Geruch aus verstopftem Klo (34).

Artgeredet werden später Videos und Fotos, man könnte auch schöngeredet dazu sagen. „vielleicht, sage ich, ist das ja alles / hier nicht mehr als eine stufe himmel“ (46)

„vertont“ (49) handelt von Klangflächen und Ton-Bühnen, die einerseits artifiziell installiert sind, andererseits unkalibriert als Alltagsbeiwerk auf die Rezipienten einströmen. Es sind die Eingriffe des beschallten Ichs, welche das Beiläufige bewusst machen. Ein Augenblick kann sich ungestüm wie ein Traum gebärden, wenn in einem Kinderkopf das Erziehungsuniversum zu einem einzigen Sound verklumpt wird, ein Augenblick kann sich aber auch als Schrei Luft machen, der ins Mark zieht. Aufgewühlt gehen selbst Gesänge ins Mark, denn „Literaturen ja / und die Lyrik ist im Grunde alles / mehr ist nicht zu sagen.“ (54)

Talk Radio schiebt Geräusche über Europa, es wird allerhand gesagt dabei, aber das Entscheidende steht zwischen den Zeilen: „wir sind die eingezäunte Fläche“. (57)

Allmählich kommen die Gedichte an ihr Ziel. Ihre Überschriften lassen sich hintereinander gelesen als jenes Meta-Gedicht lesen, auf das es vielleicht ankommt. Der letzte Bogen lautet: Meisterhaft – Augenhaft – Stille.

das genügt / um diese zeile hier / jetzt zu verlassen / : stille (79)

Dine Petrik zeiht die Leser mit sanftem Stupfen hinein in das Handgewebe, das sie geflochten hat. Es sind viele Einladungen ausgesprochen, zwischen den Zeilen Platz zu nehmen und sich einzulassen auf diesen mystischen Zustand, der aus der Farbe herauswummert, wenn man sich unvoreingenommen in das Lapisblau fallen lässt.

Dine Petrik, Handgewebe lapisblau. lyrics | artgeredet | vertont
Weitra: Bibliothek der Provinz Verlag 2023, 88 Seiten, 13,00 €, ISBN 978-3-99126-175-9

 

Weiterführende Links:
Bibliothek der Provinz Verlag: Dine Petrik, Handgewebe lapisblau
Wikipedia: Dine Petrik

 

Helmuth Schönauer, 15-03-2023

Bibliographie

AutorIn

Dine Petrik

Buchtitel

Handgewebe lapisblau. lyrics | artgeredet | vertont

Erscheinungsort

Weitra

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Bibliothek der Provinz Verlag

Seitenzahl

88

Preis in EUR

13,00

ISBN

978-3-99126-175-9

Kurzbiographie AutorIn

Dine Petrik, geb. 1942 im Burgenland, lebt in Wien.