Thomas Podhostnik, Der Spatzenkaiser
Für gewöhnlich läuft das Leben so dahin, ehe dann vielleicht ein Spatz vom Himmel fällt, um dem Ganzen eine Überschrift zu geben.
Thomas Podhostnik lässt seinen Helden Kaj vorerst einmal drei Seiten lang durch die Wüste streunen, ehe der sprichwörtliche Vogel vom Himmel fällt und dem Roman seinen Titel gibt: „Der Spatzenkaiser“. Dieser Vorfall ist mit einer Binsenweisheit verknüpft. „Auch ein Vogel musste sterben, es war nur konsequent, wenn es in der Luft geschah.“ (6)
All dies geht dem Helden Kaj durch den Kopf, als er sich auf den Weg in ein Roadmovie macht, dabei aber nicht vom Fleck kommt. Für ein Roadmovie braucht es einen Fluchtgrund, geographische Ziellosigkeit, einen täglich neu zu erweckenden Move und eine Sehnsucht, der man vergeblich nachjagt.
Kaj ist mit seinem Kumpel Leon aus einer Fabrik geflüchtet, in der sie aus unterschiedlichen Gründen an der Abfüllanlage gearbeitet haben. Während Kaj die Arbeit fürs Überleben braucht, nachdem der Vater verschollen und die Mutter verstorben ist, nachdem sie freilich ihre irdischen Schulden getilgt hat, treibt es Leon aus Gründen des Zeitluxus in die Arbeit, die er als Zone für neue Erfahrungen ansieht. Als die Firmenleitung die beiden ordentlich ausgebeutet hat und sie zu bloßen Zeitarbeitern herabstufen will, ist es Zeit, den Abgang zu machen.
Zwar legen die beiden die erste Etappe bis zum Einsetzen der Überschrift gemeinsam zurück, aber dann schlägt sich Kaj alleine durch, von Leon bleibt außer der Erinnerung an die Fabrik nicht viel übrig. Freilich dient er als rhetorische Figur, mit der sich literarisch wertvolle Dialoge führen lassen. Außerdem besteht sein Vermächtnis in einem Comic-Heft, worin die notwendigen Bilder und Blasen für eine Lebens-Vision aufgezeichnet sind. In diesem Heft wird wahrscheinlich auch die Sehnsucht nach Michelle geweckt, die Kaj ein Leben lang suchen will, zumal er gelesen hat, dass man in der echten Romantik das Ziel nie erreicht.
Begleitet von der Flucht aus der Fabrik und der Suche nach Michelle gerät der Held in eine Wüstenstadt, die durchaus Züge von Las Vegas in sich trägt. Dazu gehören generöse Glücksspielmentalität, falscher Glitzer, sowie prekäre Arbeiten zwischen Spiel, Kunst und Ekstase.
Kaj heuert für Stunden in einem Motel an, wobei er naturgemäß ordentlich ausgenommen wird. Während der Hausherr den Pool mit seinem Körper veredelt, darf der Zuarbeiter den Pool in Schuss halten und sich in den Denkpausen des Besitzers dessen Ideen zu einer kapitalen Arbeitswelt anhören.
Im nächsten Schritt schlüpft Kaj in das Kostüm von Spider-Man und verteilt Flyer, die keinen Menschen interessieren. Er wird nur für jene Kunden bezahlt, die den Flyer beim Kauf vorwiesen, sodass das Wegschmeißen nichts bringt, aber auch das Verteilen sinnlos ist. Eine Lose-lose-Situation, wie sie in der Wüstenstadt über viele Glückssuchende ausgestülpt ist.
Spider-Man ist nicht allein mit seinem Kostüm, alle möglichen Kreaturen sind in das Fell von Kunstfiguren geschlüpft, um etwas zu verteilen oder zu erklären.
Kaj freundet sich mit dem Pinguin an, mit dem sich gut über den Sinn des Lebens diskutieren lässt. Der Pinguin erklärt auch tapfer das Sehnsuchtsmoldell, wonach Michelle nur so lange funktioniert, solange sie nicht in Realität auftaucht. Außerdem seien für manche Lebensentscheidungen Bücher besser als Comic, wiewohl diese in ihrer bunten Knappheit unübertrefflich sind beim Aufstellen von Traumideen.
Der Pinguin spielt immer wieder das Lied vom Spatzenkönig, weil dieser die beste Leitfigur für jene abgemurksten Arbeiter ist, die selbst in Arbeitspausen nicht zu sich selbst finden. In einer Rückblende in die Fabrik zeigt sich über der Pausenpritsche tatsächlich ein Bild von Spatzen, die zu einem Knäuel verquirlt sind.
„Wir sind echte Spatzenhirne“ (78), schwärmt der Pinguin und wendet sich wieder dem Tagwerk zu, von dem er selbst nicht recht weiß, woraus es besteht.
Kaj überlegt, ob er sich in einem Tattoo-Studio „einen Spatzen auf einem Stacheldraht sitzend“ unter die Haut ritzen lassen soll. Vorerst aber geht er hinaus in die Wüste, um für sich jenen Ausblick zu imaginieren, der Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“ nahekommt.
Von einem Felsvorsprung aus wabert die Wüste in voller Glut. Und siehe, es funkelt tatsächlich ein dunkler Punkt in der Ferne. Das muss die Stadt sein.
Thomas Podhostnik gestaltet seinen Roman zu einem vollkommenen Comic, nur die wichtigsten Sätze dürfen in die Blasen, die irgendwo in der Wüste ihren Abstrahlpunkt haben. Das Gezeichnete und das Vermutete sind gleich groß. Die Handlung schert sich nichts um Logik oder Physik. Die Wüste kann senkrecht sein, vertikal ins Nichts führen oder als Spatz vom Himmel fallen. – Ein wunderbares Märchen, das hilft, schlimme Ereignisse zu vergessen, wie sie während der Arbeit entstehen können.
Thomas Podhostnik, Der Spatzenkaiser. Roman
Wien: Luftschacht Verlag 2023, 123 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-903422-23-0
Weiterführende Links:
Luftschacht Verlag: Thomas Podhostnik, Der Spatzenkaiser
Wikipedia: Thomas Podhostnik
Helmuth Schönauer, 28-10-2023