Heinrich Klier, Verlorener Sommer

Buch-Cover„Ich werde, wenn’s hoch geht, noch zwanzig Jahre lang klettern gehen können. In jedem Jahr gibt es vielleicht zehn solcher Klettersonntage wie den verpatzten gestrigen. Zehn mal zwanzig sind zweihundert. Was sind zweihundert schöne Sonntage? Nichts, ein Wischer übers Gesicht. Ein Glück, dass ich in Innsbruck zur Welt gekommen bin, wo die Berge vom Stadtrand emporwachsen, oder besser – die letzten Häuser schon droben auf den Bergen stehen.“ (25)

Heinrich Klier hat mit seinem 1954 erschienen Roman „Verlorener Sommer“ vermutlich eine neue Literaturgattung eingeführt, den fiktionalen Routenplaner. Verlorener Sommer ist einerseits eine grandiose Schilderung von konkreten Bergrouten ins Karwendl, aufs Matterhorn oder überhaupt durchs Wallis, andererseits ist es ein mit dürrem Erzähldraht zusammen gewickelte Liebesgeschichte, in der es nur so von Steinschlägen und Blitzeinschlägen wummert.

Der verlorene Sommer ist ein Knistern zwischen Herz und Hirn und entsteht, wenn man Emotionen mit dem Kalkulator nachrechnet. So gesehen ist jede Bergtour ein Verlustgeschäft, denn kaum hinaufgestiegen, sollte man wieder absteigen.

Das klassische Liebespaar der fünfziger Jahre setzt sich aus einem Innsbrucker Textilsohn und einer aus Prag geflüchteten Halbmadonna zusammen, Hans und Hella sind ein Liebespaar, das man auf der Stelle verfilmen könnte.

Das tragische Element in diesem Roman besteht in der Bergleidenschaft. Mister Benedikt, der Seilgefährte von Hans, verliert um ein Haar den Bauernhof, weil er auf große Klettertour in die Schweiz geht, anstatt die eigenen Berghänge zu mähen, und Hans verliert beinahe die Geliebte, weil er in seiner Abenteuerlust nach Steinschlag und Höhe einfach unmäßig ist. So gesehen verlieren alle etwas in diesem Sommer. Aber die einzelnen Kapitelzitate sagen dem Leser, dass der Berg das höchste ist, was es zwischen Himmel und Erde gibt.

  • Nur indem wir einen Sprung ins Unbekannte wagen, wissen wir, dass wir frei sind. 
    Thornton Wilder
     
  • Erreichen wollte ich nichts. Es war der Weg mein Ziel. Jetzt sind die Füße wund, es war des Wegs zuviel …
    Henry Hoek
     
  • Die Liebe zu den Bergen ist die beste.
    Pindar

Mit solchen wagemutigen Sätzen ausgerüstet ziehen die Bergsteiger in die Höhe, besteigen alles, was sich besteigen lässt und werden zwischendurch von staunenden Talbewohnern durch das Fernglas beäugt.

Letztlich ist die Sprache der Bergsteiger eine sehr innige und introvertierte. Die Variationen von Gestein, Stimmung, Steilheit und Fallhöhe mögen noch so abwechslungsreich ausgeführt sein, für einen Nichtbergsteiger sind das alles Fügungen, wie wenn man die -zigste Tarockpartie eines verrauchten Abends beschreibt.

Zudem geht dem Autor manchmal die Bildsprache aus, so dass etwa das Motorrad ständig zu einem Tier, einem Hengst oder gar zu einem Geschlechtsorgan wird, das auf Schenkeldruck reagiert.

Die Begeisterung für Innsbruck ist dermaßen umwerfend, dass sie aus heutiger Sicht zum puren Kitsch wird.

Das war Innsbruck: An Föhntagen , wo alles schwarz und weiß und wild und lachend war, da standen die Berge mitten in der Stadt wie große, unförmige Häuser. Der Südwind zerriß die Grenzen zwischen Berg und Stadt, wirbelte alles durcheinander. Die Luft war schwer vom Geruch der nahem Almen und Wälder, die Menschen liefen mit lockeren, regellosen Schritten durch die Straßen. (26)

Nicht nur die Bergrouten sind genau wie aus einem Bergführer ausgerissen, auch die Stadt wird als ausgebreiteter Stadtplan beschrieben, worin man mit seiner Maschin hemmungslos durch die fünfziger Jahre fetzen kann.

Verlorener Sommer ist eine interessante Erzählform, worin Sachbuch, Schmus und Routenplaner ziemlich unverfroren modern zusammen komponiert sind. Kein Wunder, dass dieser Roman so erfolgreich war, das hat er mit den gegenwärtigen Romanen Alfred Komareks gemein, wo ja auch die Helden sinnlos das Ausseer Land abwaten und an jeder Ecke glücklich sind.

 

Heinrich Klier: Verlorener Sommer. Roman.
München: Bergverlag Rother 1954. 359 Seiten.

 

Helmuth Schönauer, 18-01-2006

Bibliographie

AutorIn

Heinrich Klier

Buchtitel

Verlorener Sommer

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

1954

Verlag

Bergverlag Rother

Seitenzahl

359

Kurzbiographie AutorIn

Heinrich Klier, geb. 1926 in Zirl, lebt in Innsbruck.