Christine Losso, Dolores Die Geschichte meiner Schwester

Buch-CoverManchmal sind Texte eingespannt in entgegen gesetzte Zugkräfte. Eine kühle, dokumentarische Stimme kommentiert ein Drogenschicksal bis zum logisch letalen Ende, eine zärtlich besorgte Erzählhand hingegen unterbricht diesen Ablauf und stellt immer wieder die fassungslose Frage, warum das alles so kommen musste. Dazwischen liegt der Text, der Autorin und Leser beinahe zerreißt.

Christine Losso hat für den tödlichen „Abenteuerroman“ über ihre Schwester Dolores jene literarisch dokumentarische Mischform gewählt, die einerseits das einmalige Schicksal ihrer Schwester und andererseits die allgemeine Moral aus der Geschichte für die Leserschaft daraus zur Verschmelzung bringt.

So entsteht ein biographischer Roman, der in jedem Fall betroffen Hinterbliebene schafft, denn in die Geschichte vom Außigrasen, von der individuellen Selbstfindung und dem breiig-allgemeinen Konsens in Südtirol ist jeder involviert.

„Nun war sie 37 und am Ende.“(21) Hinter diesem Endpunkt steht ein Leben, das gekennzeichnet ist von heftiger Sehnsucht nach Ferne, der Gier, die Wahrheit zu fassen, und der Lust, sich selbst bis an die Enden der Gliedmassen zu spüren. Am Ende steht ein frühes Ende.

Die Autorin beschreibt einige Stationen der gemeinsamen Kindheit, markante erzieherische Figuren, die das Leben in die Hexenbahn gelenkt und verhext haben. Die Beziehung der Schwestern reißt dann ab und es kommt zu dem schaurigen Satz, „wer bist denn du“, als die von Drogen voll gepumpte Schwester niemanden mehr erkennt.

Dolores ist dennoch eine sympathische Heldin, man versteht von Seite zu Seite mehr, warum sie in den unentrinnbaren Drogenstrudel geraten ist, man sitzt betroffen vor der Erkenntnis, dass ein heftiges Leben einen heftigen Preis hat.

Dolores wird im fernen Thailand skizziert, in ihrer Liebe zum Sohn Jarim, in der Enge der eigenen Kindheit und schließlich an jenem verrückt provinziellen Nachmittag im Juni, als sie am Bozner Bahnhof elendiglich an der Drogensucht stirbt. Selbst nach dem Tod ist ihr Leben noch nicht ruhig gebettet, bis zuletzt zittert ihr Freund wegen eines Aids-Tests, aber der Befund geht gut aus, Dolores ist nicht infiziert.

Christine Losso hat mit dieser dokumentarischen Erzählbiographie ein Stück Zeitgeschichte aus dem Untergrund geschrieben. Voller Sympathie und Wärme berichtet sie, wie es einer Frau ergeht, für die letztlich das Land zu klein ist, für ihre große Lebenslust. Statt irgendwelcher Belehrungen gibt es abschließend eine schlichte Liste mit Adressen, die bei Drogenalarm weiterhelfen.

Christine Losso, Dolores. Die Geschichte meiner Schwester. Ein Leben zwischen Liebe, Drogen und Tod.
Brixen: Provinz Verlag 2006. 263 Seiten. 15 €, ISBN 978-88-88118-37-6

 

Weiterführende Links:
Provinz-Verlag, Christine Losso, Dolores
Homepage: Christine Losso

 

Helmuth Schönauer, 26-09-2006

Bibliographie

AutorIn

Christine Losso

Buchtitel

Dolores. Die Geschichte meiner Schwester. Ein Leben zwischen Liebe, Drogen und Tod

Erscheinungsort

Brixen

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Provinz Verlag

Seitenzahl

263

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-88-88118-37-6

Kurzbiographie AutorIn

Christine Losso, geb. 1959 in Meran, ist Redakteurin der südtiroler tageszeitung.