Michael Stavaric, stillborn
"Stillborn" heißt so viel wie Totgeburt oder tot geboren. Beide Bedeutungen können als Lebensmotto von Elisa angesehen werden, sobald sie über sich nachzudenken anfängt, steigt aus der Kindheit jene Leere auf, die man stillborn nennt.
Dabei ist Elisa im Alltagsleben äußerst erfolgreich, sie handelt nämlich mit Flächen, Wohnflächen, Nutzflächen, Freizeitflächen, und das Wort, das regelmäßig einen Orgasmus auf der Zunge auslöst, heißt Quadratmeter. Elisa ist nämlich Maklerin und hat diesen quadratischen Blick, der aus jeder Wahrnehmung den entsprechenden Nutzen abliest. In der Maklerei ist eine Tirolerin angestellt, die überhaupt Klara Quadrat heißt, so nützlich ist sie, bei ihr ist nämlich die Tiroler Kindheit zu einem einzigen Reservoir an Nützlichkeit ausgebaut.
Gerade als sich die Welt hoffnungslos normal eingependelt hat, treten immer öfter Störungen auf, es brennt ununterbrochen, kaum dass ein Objekt vermakelt werden soll. Elisa gerät in doppelte Erregung, einmal erwecken Brände eine wohlige Erinnerung an die tote Kindheit, zum anderen entpuppt sich der Brandermittler Georg als heißer Typ, der schon mal einen glutigen Zungenkuss oder einen dampfenden Körper aus der Beamtenhülle herausschält.
Wie bei einem guten Krimi dreht sich die Handlung immer schneller, Brandstiftung, Aufklärung, Geilheit und Glück verschmelzen zu einer fulminanten Feuersäule einer Lebenserregung. Also, aus einem toten Leben kann doch noch etwas werden, wenn die entsprechenden Brandbeschleuniger zur Anwendung kommen.
Michael Stavaric erzählt in einer zynisch klar montierten Sprache von jener glatten Oberfläche, die Heldinnen unserer Zeit zur Schau tragen, und dem heißen Erinnern und Begehren, das unter dieser Glätte glost. Je mehr die Welt in Nutzeinheiten vermessen ist, umso unsinniger ist dieser Nutzwert, das echte Leben spielt sich eben doch noch jenseits von Quadratmetern in Bestlage ab.
Eine Verbindung zwischen der toten Kindheit und dem feurigem Leben stellt das Pferd Aaron dar, das die Heldin auf seinem vitalen Rücken durch die Psyche trägt. Denn die permanente Auseinadersetzung mit der eigenen Kindheit, kann auch ins Gegenteil kippen, sie wird restlos verhasst. Hier liefert der Roman eine formidable Abrechnung mit dem Psychokult der Aufarbeitung der eigenen Gene. Also weniger herumstierln, mehr Feuer, heißt die Parole, mit der man dem eigenen Stillborn begegnen kann.
Michael Stavaric, stillborn. Roman.
St. Pölten: Residenz 2006.171 Seiten. EUR 15,90. ISBN 978-3-7017-1440-7.
Weiterführende Links:
Residenz-Verlag: Michael Stavaric, stillborn
Wikipedia: Michael Stavaric
Helmuth Schönauer, 17-12-2006