Die Lyrik fließt nicht nur als feierliches Brimborium, als spitze Spreche oder abgeklärter Lesebucheintrag durchs Land, die wilde Lyrik ist oft unauffällig, selbstkritisch und politisch in ihrer Verweigerung des tagespolitischen Geplänkels.

Gerhard Jaschke arbeitet zäh und ungeniert auf den Sektoren lyrische Theorie, Schau-Literatur und Aushebelung falscher Konventionen. Sein lyrisches Ich quält sich an der Hinfälligkeit biologischer Körper und lyrischer Formen ab. Legendär ist seine unverwüstliche Zeitschrift FREIBORD, und auch seine Methode, fallweise die Lyrik als Bauchladen auszustellen und griffbereit zu halten, ist ein Fall gelungener Dokumentationskunst.

Letztlich sind viele Typen prädestiniert, sich vor der Nacht zu fürchten. Die Kinder, wenn sie mit Gruselprogramm zu Bett gebracht worden sind, die erotisch Inspirierten, wenn das Tun nicht mehr mit dem Wollen übereinstimmt, die Künstler, wenn sie in der Finsternis dem aufgeklärten Licht ihrer Werke entrückt sind.

Dine Petrik nimmt diese Flucht vor der Nacht zum Anlass, um einen Künstler anlässlich des Millennium-Sprungs Bilanz ziehen zu lassen. Dabei wird nicht nur der kaputte Maler seziert, auch die Gesellschaft der Adabeis und die ganze Hautevolee kommen anlässlich der Silvesternacht 2000 an ihre Grenzen und werden somit an die Finsternis herangeführt.

Die höchste Kunst des Erzählens ist die Auflösung von Ort, Zeit und Handlung, sie führt vielleicht zu einem anderen Tod.

Ferenc Barnás gelingt etwas, das alle Schreibwerkstätten und Erzähllehrstühle ad absurdum führt, er fesselt die Leserschaft mit einem sperrigen Textblock, der nicht einmal Roman genannt wird und kaum Handlung, Zeitgeist oder Didaktik enthält. Es geht vielleicht um das Zusammenführen unbewusster Gedankenströme am Kontinent, um das Abtauchen eines Individuums in der eingedickten Zeitgeschichte und um die Transformation zerlegter Augenblicke in die Zeitlosigkeit.

Manche Berufsgruppen eignen sich aus politischen, religiösen oder patriotischen Gründen ganz besonders für die Hervorbringung von Helden. So hat der Arbeiter so lange den Helden gemimt, bis es keine Arbeit mehr gegeben hat, und der Bauer, gefeiertes Liebkind aus dem Ständestaat, ringt schon seit Jahrzehnten mit dem heldischen Abgang vom Hof.

Sepp Kahn kümmert sich stets in satirischer Form um dieses Bauernbild, das ihm an manchen Tagen unter der Hand zusammen-kugelt, noch ehe er es fertig entworfen hat. Unermüdlich wird von einer Welt erzählt, worin die Protagonisten sich zuerst in einem Klischee zeigen, dann aber sich selbst durch Bauernschläue retten und dem Publikum zeigen, dass sie noch Herr der Lage sind.

Jede gesellschaftliche Etage bringt zu gewissen Zeiten modische, kulinarische oder spielerische Gesten hervor, die eine Zeit recht gut beschreiben und hintennach als historisches Aha-Erlebnis gehandelt werden. Die Milzschnitten sind so eine Spezialität, die in diversen Haushalten des Wirtschaftswunders mit Genuss und Ekel verzehrt worden ist, ehe ihr hygienische EU-Vorschriften zumindest als Massenartikel den Garaus gemacht haben.

C. H. Huber versammelt unter dem Titel „Milzschnitten“ vierzehn Geschichte aus einem Alltagskosmos, der scheinbar wie geschmiert nach Benimm-Regeln abläuft, worin die Heldinnen und Helden aber ganz schon zu kauen haben, wenn sie ihre Lage reflektieren.

Raffinierte Titel sind immer mehrdeutig wie die Lyrik überhaupt. Landaufnahmen können sich auf die Rezeption besinnen, wonach jemand Aufnahmen von einem Land macht und es als Kunstrichtung zwischen Selfie und Landschaftsmalerei ablegt. Die Landaufnahmen können sich aber auch auf die Gastfreundschaft eines Landes beziehen, wenn das Land jemanden willkommen heißt und aufnimmt.

Regina Hilber sortiert ihre Gedichte einerseits unter dem Lichtbogen konkreter Landschaften wie Hohe Tatra, Alpen oder Friaul ein, andererseits transformiert sie zustände und Stimmungen zu emotionalen Landschaften wie Sommer Slowenien.

Eine Geschichte verändert sich naturgemäß, wenn sie in eine andere Sprache übersetzt wird. Oft erschließt sich der tiefere Sinn erst, wenn man den Text zweisprachig plastisch vor sich sieht wie eine Stereoaufnahme von einem Gelände.

Margit von Elzenbaum greift das fundamentale Thema der Südtiroler, nämlich die Mehrsprachigkeit, in ihren elf Geschichte auf, freilich geht es dabei um den Gap zwischen Dialekt und verschrifteter Sprache. Manche Geschichten sind als kurze lyrische Impression angelegt und logischerweise im Dialekt gehalten, die längeren und komplexeren Geschichten halten sich an die Schriftsprache. Einen Sonderfall stellt die Titel-gebende Story „Zwischen jetzt und jetzt“ dar, worin an besonders emotionalen Stellen oder wenn eine Heldin in den inneren Monolog wechselt, der Dialekt nahezu brachial loslegt.

Gebildete und emanzipierte Märchenprinzessinnen schlafen natürlich nicht mehr auf der Erbse, sondern auf exotischem Reis. Arborio gilt für Risotto-Liebhaber als Inbegriff geschmackhaften Reises.

Bettina Balàka spielt bewusst mit diesen Bobo-Elementen Genuss, Insiderwesen und Adabei-Szenerie, wenn sie ihre Heldin Zorzi durch alle Zwiebelschalen der Forensik jagt. Dabei wird das Leben als ein Gefäß erzählt, in dem man einsitzen muss.

„Den Männern und den Frauen / verbot sie allen auf den Tod, / dass sie je von den Rittern sprechen. / »Denn wüsste meines Herzens Schatz, / was dieses Ritterleben sei, / dann würd‘ mir das zum großen Unheil. / Nun haltet euch an die Vernunft / und sagt nichts von der Ritterwelt.«“ (118)

Wolfram von Eschenbachs Parzival gehört zu den Hauptwerken der deutschen Literatur des Mittelalters. Das Anfang des 13. Jahrhunderts entstandene große Versepos besteht aus sechzehn Büchern mit 25.000 Versen und erzählt das abenteuerliche Leben des Ritters Parzival, der sich auf seinem Weg auf der Suche nach dem Heiligen Gral zu einer großen ritterlichen Persönlichkeit entwickelt.

Geologen sind seltsamerweise die idealen Verbündeten, wenn es um das sorgfältige Darstellen von seelischen Verwerfungen geht. Mit der gleichen Zuneigung, mit der sie sich um die Morphologie von „Mutter Erde“ kümmern, lassen sie sich fallweise auch auf die Vorgänge von Erinnerung, Zeitgeschichte, Reisen und Lebensausblick ein.

Peter Steiner schickt seinen Ich-Erzähler 1981 zu einem Geologen-Kongress nach Irkutsk. Das Reisetagebuch ist die Engstelle einer biologischen Sanduhr, bei der es ein Vorher und ein Nachher gibt.