Das pure Gefängnis ist letztlich ein Zeitloch, in das der Gefangene gestürzt wird.

Otto Tremetzberger beginnt seine Erzählung mit einer beinahe religiös idyllisierten Erlösungssequenz. Nelson Mandela ist auf Robben Island eingesperrt und hat jeden Zeitbegriff verloren. Die Vergangenheit ist in Gestallt von alten Zeitungen um den Abfluss gewickelt, die Nachrichten, die Zeit und die ausgerissene Zeitung sind ins Unermessliche entrückt.

In entlegenen Landstrichen herrschen unabhängig von den jeweiligen Regierungen in den Zentren völlig autarke Geister, die in ihrer Hilflosigkeit von den Bewohnern Dämonen genannt werden.

Herbert Rosendorfer stellt in seinem letzten, beinahe vollkommen fertig gewordenen Roman „Martha, Von einem schadhaften Leben“ eine kluge These auf. Während wir in der Geschichtsschreibung immer von politischen Regimen und Quell-erfassten Protagonisten sprechen, regieren in der Peripherie oft ganz andere Mächte. Im Südtiroler Vinschgau sind dies die steinernen Mächte, die unbeirrt von der jeweils gültigen Landessprache ihre Untertanen in der Kunst des Überlebens unterweisen.

Ein Korridor gilt in Tirol als etwas besonders Exklusives und Wertvolles, Jahrzehntelang sind beispielsweise die Osttiroler mit einem Korridorzug unter Ausschluss der Realität von Lienz nach Innsbruck gefahren, ehe man dem Zug seinen Korridor-Charakter genommen hat.

In Hans Platzgumers „Korridorwelt“ ist ähnlich exklusiv wie bei den Osttirolern eine eigene Welt gemeint, die sich nur dem Korridorbewohner erschließt. Der Held Julian Ogert nämlich lebt in Amerika eine Zeitlang als Straßenmusikant in einer eigenen Welt. In Los Angeles ist dieser Held für eine gewisse Zeit zur Ruhe gekommen und stellt fest, dass man einen Fluchtpunkt ständig verlegen muss, sonst ist es keiner mehr. (101)

Obwohl man Land und Leuten von Tirol letztlich alles zumutet, ist man doch immer wieder überrascht, wenn sich in der Literatur ein Fall zu einem Weltproblem aufschaukelt.

Margit Kröll zeigt in ihrem Hypo-Roman „Zufallsopfer“ recht eindringlich, wie das Verbrechen überall zuschlägt, wo es um Geld geht. Und da es besonders in Tirol Tag und Nacht um Geld geht, ist auch das Verbrechen immer auf dem Sprung zum nächsten Auftritt.

Spuren dünnen immer wieder aus, verlaufen im Weiß des Sehfeldes oder ändern die Spurweite. In einem Gedichtband laufen diese Fährten sporadisch vor dem Leser ab, zwischendurch ist das Ziel sofort einsichtig, dann wieder verliert es sich, um vielleicht gar nicht mehr aufzutauchen.

U. Elisabeth Sarcletti setzt in vier lyrischen Bewegungen an, diese filigranen Abbilder von Fugen, Alltagsspänen und Empfindungspartikeln „auf die Reihe zu kriegen“. Den Kapiteln ist jeweils eine stilisierte Bild-Vignette beigesetzt, wo ein Netz selbständig an Land geht, ein Schleier sich zu einer Linie verkrümmt oder eine Frostvase zu einem Kelch ausblüht.

Im Essay lehnt sich der Autor bei offenem Fenster mit seinen Thesen kühn hinaus in den Fahrtwind. In einer Gesellschaft, die vollklimatisiert durch die eigene Gedankenwelt reist, ist das mittlerweile zu einem seltenen Ereignis geworden.

So ist es kein Wunder, dass es den Leser bei Alois Schöpfs Essay selbst aus dem Sessel reißt, behauptet er schlicht nichts anderes, als dass sich die gefeierten Dichter der Gegenwart manchmal heimlich mit den Germanisten der entsprechenden Region treffen und unter dem Titel „Vorlass“ eine Menge öffentlicher Kohle kassieren.

Da das Leben die Figuren steuert und nicht umgekehrt, kommt es am Lebensende meist zu Entgleisungen der skurrilen Art.

Piersandro Pallavicini kümmert sich in seinem Roman „Ausfahrt Nizza“ um jenen Notausgang, durch den vorzugsweise in der Literatur die Figuren geschleust werden, wenn das Leben verbockt ist und zu Ende geht. Zwei gut abgehangene Ehepaare und ein Witwer als Ehe-Restl rasen in einer Oldie Rallye nach Nizza, um das erlauchte Ambiente, die Restaurants mit Senioren-Touch und die eleganten Kliniken unter Palmen zu genießen.

Im Volksmund heißt es, man muss dreimal nach Innsbruck, um es in seiner Belanglosigkeit zu kapieren. Der weltberühmte Theologe Karl Rahner ist tatsächlich dreimal nach Innsbruck, einmal um von den Nazis vertrieben zu werden, ein zweites Mal um vor dem Konzil von den eigenen Leuten ruhig gestellt zu werden, und letztlich um zu sterben. Karl Rahner hat dabei sicher mehr für Innsbruck getan als umgekehrt.

Martin Kolozs würdigt den Jesuitenpater Karl Rahner vor allem mit Dokumenten aus der Innsbrucker Zeit, dabei spiegelt sich in den jeweiligen Epochen durchaus der Zeitgeist und es ist interessant zu sehen, wie sich ein großer Theologe in einer abgelegenen Kleinstadt geistig über Wasser hält.

Wie eine Gesellschaft tickt, kann man oft an ihrem Umgang mit sich selbst erkennen. Wie sorgen sich die Menschen um sich selbst? Welche Hilfsmittel verwenden sie? Wie schätzen sie ihre pflegenden Hände und Köpfe?

In den europäischen Gesellschaften ist mittlerweile der Umgang mit Körper, Krankheit, Gesundheit und Tod völlig professionalisiert und zu einem gigantischen Geschäftszweig geworden. Im Windschatten dieser Heil-Industrie gedeihen freilich auch alte Traditionen, die ihr Wissen aus jahrhundertelanger Erfahrung speisen und allen Apps zum Trotz eine persönliche Sprache und einen individuellen Händedruck entwickeln.

Die heutigen Kids sind vom Revolutionsjahr 1968 etwa so weit entfernt, wie es die die damaligen 68er Revolutionäre vom Spartakusaufstand 1919 in Berlin waren. So eine Zeitachse muss man sich durch den Kopf legen, wenn man einen Roman über das Jahr 1968 halbwegs einordnen will.

Siegfried Nitz mildert das Fieber 68 in zweifacher Hinsicht, erstens sind die Protagonisten des Romans noch während ihrer hitzigen Zeit gealtert und zweitens ist die 68er Bewegung nur als verklemmtes Hüsteln nach Südtirol gekommen.