Siegfried Nitz, Fieber 68

Die heutigen Kids sind vom Revolutionsjahr 1968 etwa so weit entfernt, wie es die die damaligen 68er Revolutionäre vom Spartakusaufstand 1919 in Berlin waren. So eine Zeitachse muss man sich durch den Kopf legen, wenn man einen Roman über das Jahr 1968 halbwegs einordnen will.

Siegfried Nitz mildert das Fieber 68 in zweifacher Hinsicht, erstens sind die Protagonisten des Romans noch während ihrer hitzigen Zeit gealtert und zweitens ist die 68er Bewegung nur als verklemmtes Hüsteln nach Südtirol gekommen.

Der Autor nimmt eine Handvoll Helden und lässt sie die Zeit um 1968 in Bozen und Umgebung in einer permanenten Sommerfrische erleben. Einer stammt aus einer Unternehmerfamilie, ein anderer kommt aus dem Angestelltenmilieu, aber Unterschiede gibt es höchstens in der Auswahl der Ferialjobs.

In eine putzigen Nachkriegswelt in der Provinz, wo die Gymnasiasten aus alten Kulturen kleinste Bruchstücke übersetzen und nicht verstehen (11) kommt eines Tages der Song „Satisfaction“ und alle stellen sich plötzlich völlig neue Fragen. In der Südtiroler Hochschülerschaft geht es drunter und drüber, niemand hat einen Plan, aber irgendwie ist klar, dass der Partisanenkampf als historischer Background für all die linken Kräfte herhalten muss. In der Tageszeitung „Dolomiten“ stichelt sich der Kultur-Josef durch die Szene und rettet täglich das Abendland mit abstrusen Verteidigungsvisionen.

Norbert C. Kaser löst mit einem einzigen Auftritt ein Erdbeben aus, so wackelig ist das kulturelle Gemäuer bereits. Und die Protagonisten lesen die Klassiker dieser Zeit, Peter Weiss, Jack Kerouac und Noam Chomsky. Vietnam, Berlin und Berkley, plötzlich sind alle mit Bozen auf Augenhöhe und umgekehrt, mit feuchten Augen glauben die Romantiker an das Gute:

Der bessere Mensch, die bessere Welt: Es gab sie! (99)

Manche Protagonisten spielen ein Stück Literatur nach, um das adäquate politische Bewusstsein zu finden, die eigene Initiation wird oft mit Peter Weiss „Abschied von den Eltern“ inszeniert, ein anderer versucht sich an Robert Musil und fühlt sich als essayistisches Fragment.

Wir mussten einen neuen Strandort suchen, einen dritten Weg finden zwischen politischer Kompromisslosigkeit und dem Rückzug ins Private oder dem völligen Abdriften in die Depression. (126)

Der Monolith Südtiroler Volkspartei reißt sich zwischen 73 und 78 die Autonomie als Erfolgsgeschichte unter den Nagel, die 68er Revolutionäre sehen dem stumm und unbedeutend zu. Als Norbert C. Kaser stirbt, ist die Epoche auch in Südtirol vorbei.

Siegfried Nitz lässt den Figuren in Melancholie und Romantik freien Lauf, die lose Truppe wühlt sich durch die Zeitgeschichte wie durch ikonisiertes Material. Eine Auflistung der für die damaligen Zeitgenossen bedeutenden Romane, Zeitschriften und Sendungen verdeutlicht die Erlebnisspur, die die Helden hinlegen. Zu allem kann man aus heutiger Sicht „kultig“ sagen. Am Schluss des Romans stirbt schon der erste der Runde, jetzt ist das Fieber 68 gut abgehangen und bereit für die Archive!

Siegfried Nitz, Fieber 68. Roman.
Bozen: Edition Raetia 2014. 159 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-88-7283-483-1.

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Siegfried Nitz, Fieber 68
Lexikon Literatur in Tirol: Siegfried Nitz

 

Helmuth Schönauer, 10-04-2014

Bibliographie

AutorIn

Siegfried Nitz

Buchtitel

Fieber 68

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

159

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-88-7283-483-1

Kurzbiographie AutorIn

Siegfried Nitz, geb. 1949 in Brixen, lebt in Eppan.