andrei bitow, leben bei windigem wetterNirgendwo weht der Wind so aufgekratzt wie an der Grenze zwischen Stadt und Land, zwischen Vorsteppe und Vorstadt. Menschen, die in diesem Aufmarschgebiet für windiges Wetter wohnen, erleben während eines Tages extreme Höhen und Tiefen ihres Lebens. Sollte jemand in dieser Gegend gar Schriftsteller sein, wird er täglich aufgerieben zwischen Sinn- und Schreibkrise.

Andrej Bitows zwei Erzählungen vom „Leben bei windigem Wetter“ sind um 1960 entstanden. In der russischen Literatur egal welcher Epoche müssen immer zwei Geschichten erzählt werden, einmal als Text, der oft als ewiges Manuskript durch die Hände der Untergrundleser geht, und ein andermal als Geschichte der Verhinderung, Verdrängung und des Wegduckens aus dem Literaturbetrieb.

literatur sichten - anthologieLiteraturzyniker ätzen zwischendurch: Wenn irgendwo nichts los ist, macht man eine Anthologie. Eine Anthologie suggeriert immer, dass sie notwendig ist, indem sie viele Themen oder Autoren aneinanderreiht, damit der Leser nicht das Fehlen eines Zentralthemas merkt.

Das Projekt „Literatur sichten“ ist mittlerweile so etwas wie Hausbrauch in Südtirol geworden, indem nämlich das finanziell wohlbestallte Literaturhaus Liechtenstein immer wieder ein Auge auf das benachbarte Südtirol wirft und mit Veranstaltungen, Symposien und Publikationen ab und zu einen Weckruf an die verschnarchten Südtiroler sendet.

volker demuth, fossiles futurWas für ein universell gekreuzter Begriff! Die Fossilien liegen in ferner Vergangenheit und vom Futur wissen wir nicht, wie lange es hält.

Volker Demuth verwendet für seine Lyrik die unerschöpflichen Begriffsfelder Landschaft und Zeit. In dieser Konstellation verschmelzen Fossilienforscher, Landschaftsarchitekten und Zukunftsdeuter zu einem, nämlich zum Lyriker. Der Autor definiert diese Felder als Kapitel-Unterschriften, die wie Insignien im Buch ausgelegt sind. „Die Gegenwart ist die reale Zukunft einer inexistenten Vergangenheit.“ (35) „Landschaften sind Speichermedien.“ (63)

stephanie jentgens, lehrbuch literaturpädagogik„Das „Lehrbuch Literaturpädagogik“ ist ein Lernbegleiter, der die ganze Vielfalt dieses Tätigkeitsbereichs abdeckt. Es umreißt und erläutert die Handlungsfelder der Literaturpädagogik, formuliert Grundlagen für das pädagogische Handeln und gibt eine Einführung in die Kinder- und Jugendliteratur.“ (S. 9f)

Neben einer Einführung in die Grundlagen der Literaturpädagogik bietet das Lehrbuch einen kompakten Überblick zur Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur, eine Einführung in die Praxis der Literaturpädagogik vom Kleinkind bis zum jungen Erwachsenen und zeigt organisatorische Hilfestellungen für literaturpädagogische Maßnahmen und Projekte, deren Evaluation und Sicherung von Nachhaltigkeit.

jörg piringer, datenpoesieHinter dem unscheinbaren Begriff „Datenpoesie“ tut sich eine literarische Revolution auf. Hier schreibt nicht mehr ein Autor Gedichte oder poetische Texte, sondern die Programme, einmal in Bewegung gesetzt, spulen ihr poetischen Akzente ab. Logischerweise dürfte diesem Unterfangen nicht ein lebender Leser in die Quere kommen, sondern ein kluger Leser müsste dieser Poesie sein eigenes Leseprogramm entgegenhalten, sodass sich zwei Künstliche Intelligenzen gegenseitig auslesen und in Schach halten könnten.

Jörg Piringer verweist trocken auf den Forschungsstand der Datenpoesie. Zwar ist allerhand disparat aufgestelltes Material herum, aber nur wenige haben bisher die diversen Programme, poetischen Algorithmen und Dichtungsströme Künstlicher Intelligenz zusammengefasst. Der Autor tut dies in der guten alten Form eines Lexikons, das Profis und Neulingen mit Anfangsverdacht beste Auskunft gibt.

pamela paul, lesen macht stark„Verweigern wir einem Kind den Zugang zu TikTok, Netflix-Serien, Minecraft oder Fortnight, gerät es in Gefahr, zum Außenseiter zu werden. Alle Konkurrenzmedien zum Buch einfach nur zu verbieten, kann also nicht die Lösung sein. Die Lösung muss heißen: eine Begeisterung für Bücher wecken, die so groß ist, dass sie mit der für digitale Medien Schritt hält. Wie das gelingen kann, darum geht es in diesem Buch.“ (S. 21)

Das „Lesen“ erhält bei Kinder und Jugendlichen von vielen Seiten her Konkurrenz und scheint gegenüber den elektronischen Medien mit ihren Versprechen auf rasche Erfolgserlebnisse aber auch den sozialen Vernetzungen und gemeinsamen Spielerlebnissen zwischen Gleichaltrigen auf verlorenem Terrain. Wenn es aber gelingt, Kinder und Jugendliche für Bücher zu begeistern, erwartet sie eine Welt voll Kreativität und Fantasie, vor allem aber die Gedanken der Welt über alle Zeiten hinweg.

agnes heller, was ist komisch?„Dieses Buch sollte als Versuch gelesen werden, über das Phänomen des Komischen im Allgemeinen philosophisch nachzudenken. Soviel ich weiß, ist dies der erste Versuch, dies zu tun. […] Mein Buch soll keine Zusammenfassung sein, sondern eine Ouvertüre. Es ist nicht provokant, auch wenn Form und Inhalt vielleicht stellenweise provokant wirken. Ich hoffe, es wird angefochten, zurückgewiesen oder lächerlich gemacht. Nur dann kann ich von einem Erfolg ausgehen.“ (S. 9)

Ágnes Heller stellt ihr Nachdenken über die Komödie in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen und bezieht sich dazu auf Romane, Komödien, Gemälde oder Filme, die sie selbst gelesen oder gesehen hat. Unabhängig von Sekundärliteratur versucht sie dazu ihr eigenes Verständnis der jeweiligen Kunstwerke darzulegen und „über komische Phänomene nachdenken und nicht bloß Informationen darüber sammeln“ (S. 9).

thomas antonic, wolfgang bauerSelbst der emsigste Literaturforscher muss sich im Laufe seines Lebens auf ein paar Auserwählte beschränken, die er allumfassend beforschen kann. Ein sterblicher Leser muss sich bei jedem dieser Monumente auf ein paar persönliche Zugänge beschränken, denn jede aufgeschriebene Biographie ist mindestens so groß wie das eigene Leben des Lesers.

Thomas Antonic arbeitet schon seit über einem Jahrzehnt an seinem Wolfgang Bauer, den er sich deshalb ausgesucht hat, weil dieser trotz Genialität vor und nach dem Tod in die Wahrnehmungs-Ecke gestellt worden ist. Die Theater-Österreicher haben sich lieber um den Loden-trächtigen, letztlich handzahmen Thomas Bernhard geschart, statt den flapsig-frechen, garantiert grausamen Wolfgang Bauer auf die Bühnen zu lassen.

florian gantner, o.m.Die Buchstaben O. M., innig vorgetragen wie ein meditativer Befreiungsrülpser, stellen das Höchste dar, was ein Schriftsteller erreichen kann. Es handelt sich dabei um das sogenannte Opus Magnum, das Großwerk, das letztlich Leben, Literaturtheorie und Literaturbeispiel bündeln soll.

Florian Gantner verwendet dieses germanistische Unwesen O. M., um einen verzagten Schriftsteller zu beschreiben, der wahrscheinlich schon während des Schreibens an sich selbst scheitert. Es besteht kaum Hoffnung, dass ihn Außenstehende oder Bewunderer retten werden.

gertraud klemm, hippocampusJeder Mensch trägt ein Seepferdchen im Hirn spazieren, im Gehirn liegt nämlich der sogenannte Hippocampus. In diesem Denklappen in Gestalt eines Seepferdchens werden Daten verknüpft und zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis hin und her geschaltet. Wer den Hippocampus klug zu verwalten vermag, kann mit Denkgewinn Zeitloses als aktuelle Gegenwart ausgeben und umgekehrt.

Gertraud Klemm versteckt in ihrem grotesken Roman Hippocampus allerhand Literaturtheorien und kleidet sie mit vulgärem Schamott aus. Im Roman rasen Held und Heldin physisch durch den Kunstbetrieb und markieren an vorgeblich wichtigen Schnittstellen zwischen Kunst und Kritik wie wild gewordene Hunde, indem sie Installationen aus Fäkalien und Imitationen von Genitalien hinterlegen.