Florian Gantner, O. M.

florian gantner, o.m.Die Buchstaben O. M., innig vorgetragen wie ein meditativer Befreiungsrülpser, stellen das Höchste dar, was ein Schriftsteller erreichen kann. Es handelt sich dabei um das sogenannte Opus Magnum, das Großwerk, das letztlich Leben, Literaturtheorie und Literaturbeispiel bündeln soll.

Florian Gantner verwendet dieses germanistische Unwesen O. M., um einen verzagten Schriftsteller zu beschreiben, der wahrscheinlich schon während des Schreibens an sich selbst scheitert. Es besteht kaum Hoffnung, dass ihn Außenstehende oder Bewunderer retten werden.

Der Held stellt sich selbst als Schlagzeile vor.

Gregor Reichert, mäßig erfolgreicher österreichischer Autor, auf Recherchereise in England, hat Bath wieder verlassen. (70)

Er tourt nämlich durch die literarischen Großländer Frankreich, England und Russland, um die Literaturgeschichte der Großwerke mit seinen Ergänzungen zu bereichern.

Dahinter steckt die mittlerweile weitverbreitete Idee der Germanisten, dass man ganz nah an die Großen heranforschen muss, um selber groß zu werden. Der Held pirscht sich also ganz nah an Größen wie Rousseau, Jane Austen oder Gogol heran. Da die wahren Größen mit überflüssigem Forschungsmaterial verstellt sind, wendet er sich an Nebenfiguren oder Spuren des Personals, um doch noch ein paar entscheidende Entdeckungen machen zu können.

Ich durchsuche die Literaturgeschichte nach Rätseln, die ich zu lösen versuche. (26)

Tatsächlich wird die Literaturgeschichte als große Patience ausgelegt, die immer auf Null ausgeht. Was sagt eigentlich der Bruder von Jean-Jaques Rousseau und warum hat er es nicht schon früher gesagt? Was könnte im Briefmaterial der Jane Austen noch nicht entdeckt sein? Hat Gogol mit seinem Personal gesprochen und gibt es Aufzeichnungen darüber?

Die Literaturgeschichte wird schon seit Jahrhunderten als Spiel der Phantasie-Mächtigen abgewickelt. Man nehme ein paar Figuren, gebe ihnen wie beim Kartenspiel ein paar Spielregeln und ab geht das Vergnügen, worin man jeden Tag ein neues Gerücht oder eine neue Variante erfinden darf.

Allmählich arbeitet sich der Held Richtung Gegenwart herauf und bemerkt dabei, dass er gerade sein eigene Opus Magnum ausheckt. Immer mehr Freunde aus der WG oder dem Institut erfahren von seinem O. M. Und wollen miträtseln oder gar mitgestalten. Es langen Vorschläge ein, wer mit wem ein Verhältnis haben könnte und wen man auf keinen Fall vergessen dürfe.

Die Kapitel werden umso kürzer, je näher die Gegenwart kommt. Und im letzten Teil ist bereits von jenem Kater die Rede, der entsteht, wenn man allzu trunken aus dem Traum der Literatur aufwacht.

In einem eigenen Kapitel sind die Werke alle nachgewiesen, die zur Debatte oder Verarbeitung gelangt sind. Es handelt sich dabei um eine Art Leseliste für die Zentralmatura, die der O. M.-Chef sauber abgearbeitet hat.

Am Schluss kehrt die multiple Identität des Autors wieder ganz brav zu einer biederen Schreiber-Identität zurück, die Ich-Person dankt überschwänglich allerhand Personen, wie man es in den amerikanischen Creative-Writings lernt, damit wenigstens eine Handvoll Bedankter den Roman liest.

Florian Gantner erzählt mit viel Ironie, dass letztlich alles in der Literatur geklaut, gewürfelt und gepusht ist, das Opus Magnum wird zu einer Marketinggeschichte des fiktionalen Zufalls.

Florian Gantner, O. M. Roman
Innsbruck: Edition Laurin 2018, 374 Seiten, 23,90 €, ISBN 978-3-902866-67-7

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Florian Gantner, O. M.
Homepage: Florian Gantner

 

Helmuth Schönauer, 27-09-2018

Bibliographie

AutorIn

Florian Gantner

Buchtitel

O. M.

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Laurin

Seitenzahl

374

Preis in EUR

23,90

ISBN

978-3-902866-67-7

Kurzbiographie AutorIn

Florian Gantner, geb. 1980 in Salzburg, lebt in Wien.