an marwan, verpuppt„Und woran denkst du?“ – Das Mädchen wurde steif. „An welchen Beruf?“ erklärte er rasch. (20) Sobald Sätze fallen, tun sich Missverständnisse auf. Während sie gesprochen werden, heißt es schon zu erschrecken und sie zurücknehmen. Oder zumindest sie abzufedern, oder nachzufragen, oder abzuwiegeln.
Letztlich entsteht ein Satzbrei vor dem Mund und erstarrt. Dahinter hat sich ein Gedanke verbarrikadiert und verpuppt.

Ana Marwan erzählt rätselhaft klar und verwoben. Am Cover steht Verpuppung. Roman. Als Leser merkt man gleich, dass es sich um etwas handelt, was man nicht nacherzählen kann, und was folglich keinen scharfen Plot hat. Die vorgeschobene Erzählerin weiß, dass der Leser ab und zu einen Suspense braucht.

sara rukaj, die antiquiertheit der frau„An die Stelle des feministischen Subjekts ist heute die »Performität« aller möglichen Identitäten getreten, mit denen herzhaft gespielt und en passant um die vielfältigsten Geschlechterpronomen gewetteifert wird. In Zeiten des flexibilisierten Spätkapitalismus ist die vereinzelte Identität – ganz im Gegensatz zur Individualität – die schlechterdings gefragte Bastion.“ (S. 10 f)

Seit den 1970-er Jahren erlebt die Gesellschaft im Verhältnis der Geschlechter und zur Sexualität eine radikale Veränderung, in denen die Gleichstellung der Frau und die Ablehnung alter sexueller Normen zum Mainstream im allgemeinen Bewusstsein und der öffentlichen Meinung avancierte. Mittlerweile drohen diese gesellschaftlichen Errungenschaften aber in einer allgemeinen Ablehnung des alten Geschlechterbegriffs unterzugehen und die „Frau“ in einer Flut verschiedener „Identitäten“ zu verschwinden.

andrea bertschi-kaufmann, literarische bildung„Bildung ist ein Menschenrecht. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen eine kulturelle Identität entwickeln, an der Gesellschaft teilhaben und ihre persönlichen Anlagen und Fähigkeiten entfalten können. Sprache und Bildung sind dabei eng miteinander verwoben. Zu einer umfassenden Bildung gehört der Zugang zur Literatur deshalb unbedingt dazu. Sie ist nicht nur Nahrung für die Fantasie, sondern sie zeigt auch mit vielerlei Gestaltungen, wie sich Ausgedachtes und Erfahrenes zur Sprache bringen oder in Bildern vermitteln lassen.“ (S. 6)

Literarische Bildung eröffnet die Welt der Fantasie und zeigt, welche Möglichkeiten es gibt, Erfahrenes oder Ausgedachtes sprachlich zu artikulieren. Es gehört somit zu den zentralen Aufgaben der Schule, literarisches Wissen zu vermitteln und damit die Schülerinnen und Schüler auch bei der Bewältigung ihrer geistigen und seelischen Entwicklung zu fördern. Das vorliegende Sachbuch zeigt Konzepte und Umsetzungsmöglichkeiten der Literaturvermittlung im Unterricht der Sekundarstufe I auf.

cornelia dold, außerschulische lernorte neu entdeckt„Die Auseinandersetzung mit dem Thema »Nationalsozialismus« und insbesondere seiner Frühphase scheint gerade in Zeiten gesellschaftlichen Wandels immer wichtiger zu werden. Es stellt sich die Frage, wie man beide Forderungen kombinieren kann, also an einem außerschulischen Lernort wie einer KZ-Gedenkstätte tiefgreifendes Lernen fördern kann.“ (S. 21)

Wie sich an außerschulische Lernorten, wie dem KZ Osthofen selbstreguliertes Lernen für tiefgreifenden Lernprozessen gestalten und umsetzen lässt, steht im Mittelpunkt der Dissertation, in denen die Ergebnisse verschiedene Studien vorgestellt werden. Im Mittelpunkt der Studien stand die Frage, ob sich an außerschulischen Lernorten mit Hilfe von Instruktionen zu selbstreguliertem Lernen sowie einem Training für Fachsprachen und Methoden tiefgreifendes Lernen ermöglicht werden kann.

noam Chomsky und marv waterstone, konsequenzen des kapitalismus„Scheinbar endlose Kriege sowohl der heißen auch der kalten Art überall auf der Welt. Immer umfangreichere und gravierendere Umweltkatastrophen. Beispielloser globaler Reichtum und beispiellose Ungleichheit der Einkommen. Und, als Reaktion auf diese und weitere Symptome systemischen Zusammenbruchs immer repressivere und autoritärere Regimes, die sich einer extrem spalterischen Rhetorik bedienen. Das sind die Bedingungen, die das tägliche Leben von Milliarden von Menschen auf unserem Planeten charakterisieren.“ (S. 7)

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Kapitalismus stehen seine Folgen, die sich als Umwelt- und Klimakrise, militärische Eskalationen und eine neoliberale Durchdringung unserer Wirtschaft und Gesellschaft äußern.

konrad paul liessmann, lauter lügenWas für ein Cover! - Lauter Lügen | Lauter Lägen | Konrad Liessmann | Lauter Lügen. Der Philosoph steht mitten unter Lügen.

Konrad Paul Liessmann ist mit den beiden Tugenden Selbstvertrauen und Selbstironie gesegnet, was vor allem den Lesern zugute kommt. Denn je nach Strenge des Gedankens ist man geneigt, sich manchmal der übersteigerten, dann wieder der lustigen Seite des Denkens zuzuwenden.

„Lauter Lügen“ ist eine Essaysammlung aus den Jahren 2016 bis 2022. Als philosophische Überlegungen wurden die Texte in der „Neuen Zürcher Zeitung“ und „Kleinen Zeitung“ abgedruckt. Beide Zeitungen haben hohes Renommee, wenn auch verschieden gelagertes Publikum, dem liberalen Schweizer Freigeist steht auf der anderen Seite der klerikal Österreichische Kleingeist gegenüber. Die Essays freilich sind so offen gestaltet, dass sie an beiden Segmenten andocken können.

peter hofinger, seelenabwasserWenn die Blase versagt, beginnt die Literatur erst richtig zu wirken. – Die Kraft der Literatur steckt zwischendurch darin, dass sie Grenzgängerin ist und regelmäßig jenen Schubladen entsteigt, in die man sie zu jeder Epoche aus pragmatisch-pädagogischen Gründen einlagert.

Peter Hofinger wählt mit seiner „Selbstbeschreibung der Kindheit“ eine Erzählform, die Elemente der Zeitgeschichte und der pädagogischen Vertuschung mit den Mitteln der seufzenden Autobiographie und transzendenten Bewusstseinserweiterung durch Esoterik bedient. Kraftvolle Literatur hat meist einen Anlass, und ihr Segen besteht darin, dass sie diesen Anlass überwindet.

stefan verra, köpersprache gendert nichtWie weit darf ich als Mann im Bus die Beine spreizen, ehe ich von Mitfahrenden wegen sexueller Belästigung angezeigt werde? – Diese Frage ist nicht so sehr wegen des Inhalts bemerkenswert, sondern wegen der Überlegung, wer sie beantworten könnte.

Stefan Verra ist die erste Adresse, wenn es um Kunst, Kommunikation und politische Strategie rund um den Körper geht. Die sogenannte „Körpersprache“ ist nämlich älter als die gesprochenen Sprachen, daher ist sie mehr oder weniger überall verständlich, noch ehe jemand den Mund aufgemacht hat.

benedikt widmaier, politische bildung nach auschwitz„Wie kein anderes historisches Ereignis stehen die nationalsozialistischen Verbrechen für die basale Erschütterung des Vertrauens in die zivilisatorische Selbstbegrenzung der modernen Gesellschaft. Auschwitz zerbrach die fortschrittsoptimistische Grundfigur der Aufklärung, weil sich mit der industriell organisierten Vernichtung von Menschen, dem zerstörerischen Antisemitismus und der Pervertierung des Nationalstaatsgedankens das erklärte Ziel der Aufklärung in ihr Gegenteil verkehrt hatte.“ (S. 17)

Die Schrecken der NS-Diktatur und des Holocaust bilden die zentrale Zäsur des 20. Jahrhunderts, die auch für die politische Bildung im schulischen Unterricht, vor dem Hintergrund veränderter Lebens- und Erfahrungswelten eine fundamentale pädagogische Herausforderung darstellt.

alexander marguier, die wokeness-illussion„Denn kein geringerer als der wirkmächtige US-Politologe Francis Fukuyama ließ in seinem schon 2018 erschienenen Buch mit dem Titel »Identität« keinen Zweifel daran, dass der kulturelle Fokus der Identitätspolitik von ernsthaften Überlegungen darüber abgelenkt habe, »wie der dreißig Jahre währende Trend in den meisten liberalen Demokratien zu größerer sozioökonomischer Ungleichheit umgekehrt werden kann«.“ (S. 8)

Die Aufsatzsammlung „Die Wokeness-Illusion“ setzt sich mit den verschiedenen gesellschaftspolitischen Diskussionen der Gegenwart rund um die Themen struktureller Rassismus, Geschlechtersystem, Neoliberalismus, politisch korrekter Konsum, woke Sprache und Kultur, Identitätspolitik und kulturelle Aneignung auseinander.