Christine Haidegger, Fremde Mutter

Buch-CoverWie kann man einen Draht zur Geschichte entwickeln, wenn einem nicht einmal die eigene Mutter bekannt ist? - Die „fremde Mutter“ ist in Christine Haideggers Roman einmal eine biographisch ausgelöschte Person, zum anderen aber auch die Geschichte überhaupt.

Der Roman hat eine dramatische Konstellation, wie ihn keine Kunst, sondern ausschließlich das so genannte Leben entwickeln kann.

Eine Frau wird in einer psychiatrischen Anstalt festgehalten und hat im Nazi-Regime nichts mehr zu erwarten. Man hat sie eingeliefert, weil sie auf einem Karton eine Parole gegen den Krieg in die Höhe gehalten hat: „Soldaten bleibt zu Hause!“

Jetzt kümmert sich ein junger Arzt um sie, er liegt wegen seiner Unbekümmertheit quasi noch außer Reichweite der Politik. So lässt er sich in geduldigen Gesprächen mit sachten Nachfragen das Leben von Elisabeth erzählen. Zwischenkriegszeit, Alltagsleben, starre Kommunikation, die Familie als Korsett.

Ich glaube, Angst haben alle Kinder. Die Welt, in die wir kommen, ist uns so fremd, wir müssen ihre Spielregeln erst lernen, man muß sie uns erklären, und so lange wir sie nicht durch und durch verstehen, solange sie uns unerklärlich ist, haben wir Angst. (11)

Elisabeth erwacht durch solche Überlegungen zu einem politischen Menschen, sie kann allmählich die größeren Zusammenhänge auf ihr eigenes Leben münzen. So verschickt sie letztlich auch ihren kleinen Sohn ins Ausland, um ihm das Leben zu retten. Es gelingt ihr, den Sohn für tot zu erklären und so am Leben zu erhalten. Sie selbst wirft sich ins Unvermeidliche, leistet für sich klaren Widerstand und hat nichts mehr zu erwarten.

Dem Arzt bleibt die Aufgabe, den Sohn ausfindig zu machen und ihm die fremde Mutter nahe zu bringen.

Christine Haidegger schafft es, das schon ziemlich durcherzählte Thema von Nazizeit, Widerstand und Aufarbeitung mit aufwühlenden Erzählstrategien für den Leser so herzurichten, dass dieser nicht mehr aus kann und aus will. Wie wird man ein politischer Mensch? Kann man das Notwendige wissen, wenn man es wissen will? Wie groß muss man den eigenen Widerstand anlegen? Muss man tatsächlich im biblischen Sinn sein Kind opfern, um das System zu überwinden?

Als Leser möchte man nicht mit der „Heldin“ dieses Romans tauschen und man ahnt, dass man wahrscheinlich viel schlüpfriger und glatter versuchen würde, durch die jeweiligen Systeme zu gleiten.

Christine Haidegger, Fremde Mutter. Roman.
Salzburg: Otto-Müller-Verlag 2006, 262 Seiten, EUR 21,00, 978-3-7013-1119-4

 

Weiterführende Links:
Otto-Müller-Verlag: Christine Haidegger, Fremde Mutter
Wikipedia: Christine Haidegger

 

Helmuth Schönauer, 16-01-2007

Bibliographie

AutorIn

Christine Haidegger

Buchtitel

Fremde Mutter

Erscheinungsort

Salzburg

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Otto-Müller-Verlag

Seitenzahl

262

Preis in EUR

EUR 21,00

ISBN

978-3-7013-1119-4

Kurzbiographie AutorIn

Christine Haidegger, geb. 1942 in Dortmund, lebt in Salzburg.