Bosko Tomasevic, Gesänge an Innsbruck

Buch-CoverEine Stadt, die üblicherweise als purer Verkehrsknoten, Flughafen oder schizophrenes Sozialgewebe zwischen Sport, Kultur und Universität wahrgenommen wird, mit "Gesängen" zu behängen, ist ein nicht alltäglicher Vorgang.

Bosko Tomasevic wollte, wie er im Nachwort schreibt, als ein Mensch aus der Ebene kommend den Bergen huldigen, sein kulturelles Bewusstsein aus Serbien mit den Empfindungen der Gegenwart in Innsbruck in einander spiegeln und dem Zeitstrom zwischen historischen Porträts, Denkmälern und Institutionen freien Lauf gewähren.

Für den heimischen Leser ist dabei alles gleich aufregend. Die Auswahl der Themen, die Ehrfurcht vor unscheinbaren Dingen und die Ironisierung angebeteter Ikonen verschafft viel frische Luft. Manche Gedichte gleichen einer Freisprengung, und wenn sich der Rauch der bisherigen Sehweise verzogen hat, sieht man durch die Gesänge die Gegenstände frisch renoviert.

Allein schon das Startgedicht, Innsbruck ohne Georg Trakl, lässt alle Beschaulichkeit beiseite und stürzt sich einem lyrisch wild gewordenen Zeitgenossen gleich in die flitzige Welt der Pisten, Banken und des touristischen Events, ehe dann entschleunigte Begriffe wie Grodek, Monarchie und Morphium den ausgeblendeten Trakl voll in Positur bringen.

Die beinahe ewigen Dinge im Flunkerlicht der Gegenwart sind so ein Thema, das Bosko Tomasevic immer wieder anklingen lässt. Dürers Innsbruck, Cranachs Maria, Föhn in Innsbruck, Sand vom Inn sind Gedichte, in denen die kleinen Uhrwerke der Ewigkeit aufgezogen sind.

Im letzten Drittel der insgesamt 33 Gesänge kommen Personen vor den Vorhang, deren diskretes Schattenspiel des Überlebens die Stadt geprägt hat. Paul Celan in Mühlau, Gespräch mit Andras Hofer, Paul Flora, Professor Ludwig von Ficker nennen sich Befragungen und Würdigungen, die an keine Gegenwart gebunden sind.

In den scheinbar schweren Brokat der Gesänge setzt der Autor immer wieder Luftmaschen der Ironie. So ist es kein Wunder, dass der Vergleich zwischen Ebene und Gebirge mit einem waidmännischen Seufzer eines klagenden Hirschen endet:

Wer bin ich hier? - / Nicht jemand ohne Wurzeln! / Meine Ebene, wie oft sagte sie zu mir: "Komm zurück!", schlaftrunken. / Aber die Alpen, ein Korb voller Minzen, / ein Dach umsäumt von Schneewächten, / widersetzen sich. // Ich, ein Hirsch, übersät mit sanften Wunden, / röhre ungerührt vom Säuseln der Akazien / dort, wie auch vom Ruf der Almen hier. (73)

 

Bosko Tomasevic, Gesänge an Innsbruck. Gedichte. A. d. Serb. von Helmut Weinberger. Illustrationen von Benno Meliss.
Innsbruck: Berenkamp 2006. ( = Erlesen Band 12). 79 Seiten. EUR 14,50. ISBN 978-3-85093-911-9

 

Weiterführende Links:
Bosko Tomasevic: Ein literarisches Leben zwischen den Welten
Wikipedia: Bosko Tomasevic

 

Helmuth Schönauer, 15-02-2007

Bibliographie

AutorIn

Bosko Tomasevic

Buchtitel

Gesänge an Innsbruck

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Berenkamp

Seitenzahl

79

Preis in EUR

14,50

ISBN

978-3-85093-911-9

Kurzbiographie AutorIn

Bosko Tomasevic, geb. 1947 in Becej (Voiwodina), lebt in Innsbruck. Er war erster Stadtschreiber in Innsbruck.