Aurelia Seidl-Todt, Nachtöne

Die ersten Nachtöne beginnen zu schwingen, wenn man diesen Lyrikband wie im Daumenkino rasch durch die Finger flirren lässt. Es bleibt der Eindruck von Harmonie, die Texte sind in gesunden Portionen abgedreht, alle Gedichte haben einen kurzen Titel, so dass man fast von lyrischen Wikipedia-Einträgen zu angenehm Begriffen sprechen kann.

Die lyrischen Ausfugungen ziehen sich durch den Jahreslauf, markieren biographische Wartepunkte oder federn harte Gedankengänge in kurzen Stößen auf ein eindringliches Bild zusammen. Aurelia Seidl-Todt hat ihre über hundert Gedichte aufgefädelt nach den Kapiteln: Nachtöne - Übers Jahr – Aussichten.

Am Eindringlichsten sind Spaziergänge, die ja den Zweck haben, ziellos zu sein. So kann man vielleicht von Streifungen reden, das lyrische Ich geht ein Stück, kommt an einem bemerkenswerten Punkt vorbei, und am Heimweg rundet sich das Gedicht ab. Der Leser wird dabei von Ortsangaben oder Zeitangaben geleitet, Nachtspaziergang, Wintersee, Reintaler See oder Schlosspark Matzen sind Einladungen, ähnliche Spaziergänge in der eigenen Erinnerung wieder aufzurufen.

Dabei lässt sich etwa am Schlosspark Matzen gut überprüfen, wie das eigene Empfinden auf die harten Facts der Geschichte reagiert. Verkauf, teilweise abgesperrt, als Auslauf für Pornofilme, im Schadstoffbereich eines Kupferwerks und vom Tunnel der Schnellbahntrasse durchbohrt ist der Schlosspark Matzen in Wirklichkeit alles andere als ein lyrischer Event.

Die Autorin lässt diese Unterlagen als Antimaterie mitschwingen, umschifft sie aber im Gedicht zur puren Poesie:

lass spüren die neue Wärme / die neue Euphorie Kinderjubel / zwischen steinernen Löwen / die Welt ist so schön / das Leben im Teich ufert aus […] (52)

Obwohl nur schöne Begriffe eingesetzt sind, schwingen die Nachtöne naturgemäß in volleren Farben als der primäre Anklang.

Mit solchen Spaziergängen sind auch die Wanderungen durch das Jahr vergleichbar, oft kriegt jeder noch so unscheinbare Augenblick sein Gedicht, wobei sich natürlich emotional angekitzelte Ereignisse wie Advent, Christkindlmarkt oder Heilige Nacht, die ja in sich schon Gedichte sind, besonders für lyrische Konzentrate eignen.

Manchmal gibt es kurze Anrisse von so genannten Problemstellungen, die aber dann eher in eine Tagebuchaufzeichnung als in ein klassisches Gedicht münden. Paradoxon und Scheidung sind Beispiele für Notizen, die stumm und starr in sich verkritzelt sind.

Paradoxon // oben in der Wohnung / geht deine Welt in Brüche / und unten im Keller / wird gekittet und geleimt. (22)

Aurelia Seidl-Todts Gedichte sind völlig zurückgenommen und verkuschelt in die klassische Form des Gedichts, oft hat es den Anschein, als wollten sie sich selbst auflösen, sobald sie den Impuls für einen Nachhall gegeben haben. Und neben dieser zurückgefahrenen Art besticht vielleicht die Ausdauer, mit der die Autorin sich selbst, den Jahren und der Welt zu Leibe rückt.

Aurelia Seidl-Todt, Nachtöne. Lyrik.
Innsbruck: Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK 2007. 123 Seiten. EUR 15,-. ISBN-13: 978-3-900888-44-2.

 

Weiterführender Link:
TAK: Aurelia Seidl-Todt, Nachtöne

 

Helmuth Schönauer, 19-03-2007

Bibliographie

AutorIn

Aurelia Seidl-Todt

Buchtitel

Nachtöne

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK

Seitenzahl

123

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-900888-44-2

Kurzbiographie AutorIn

Aurelia Seidl-Todt, geb. 1948 in Lilienfeld / NÖ, lebt seit 1971 in Tirol.