Claudia Bitter, Verloren gehen

Buch-CoverIm Märchen gehen manchmal Menschen für die sichtbare Welt verloren und finden sich dann in einem unter- oder überirdischen Feenreich wieder, entrückt von der Welt aber durchaus mit Gewinn in einem neuen Zustand aufbereitet.

Claudia Bitter schickt in ihren zwölf Erzählungen ihre Heldinnen und Helden scheinbar in die Verlustzone, aber die Figuren schlagen sich meist tapfer und erleben auf ihre eigene Weise etwas wie seltsames Glück.

Musterbeispiel für so ein Außenseiter-Glück ist Das Letzte. Nach einer Schar von Kindern kommt das Letzte auf die Welt, alle Welt lässt es wissen, dass es kein Wunschkind ist, nicht einmal zu einem ordentlichen Namen reicht es, ziemlich abwertend bleibt es das Letzte.

Wenn es kränkelt, wird es wortlos zum Hausarzt geschleppt, und zu Hause ist ohnehin Wortlosigkeit angesagt, das Letzte läuft in einer anderen Welt außerhalb des Familienverbandes mit. Eines Tages verschwindet das Letzte. Da fragt man sich schon, was in dem Letzten vorgegangen ist, dass es so etwas macht, so etwas hätte man ihm doch gar nicht zugetraut. (54)

In einer anderen Erzählung bricht im Nachbargebäude in der Nacht ein Brand aus und ruft die Feuerwehr auf den Plan. Das Mädchen schaut beim Löschen zu und wird plötzlich von der Kraft des Wassers in den Bann gezogen. Von nun an trinkt das Mädchen ununterbrochen Wasser, badet wie verrückt, und trinkt und badet. Aus dem Mädchen wird eine junge Frau, es kommt zu einer zarten Liebe und das Wasser wird zu einem großen Gefäß der Erotik.

Wenn man es genau betrachtet, ist eine Impfung nichts anderes als eine Firmung. In der Erzählung Die Impfung ist die semantische Achse ein wenig verrutscht und mit dem Vokabular des reinsten Sakraments wird über die Impfung räsoniert. Niemand weiß, wofür und wogegen eine Impfung gut ist, der Impf-Pate muss die Zeremonie begleiten, es gibt Impf-Kurse und Impf-Texte und selbstverständlich strömen die Verwandten zusammen, um die Impfung festlich zu begehen.

Claudia Bitters Geschichten sind auf den ersten Blick scharf aus dem Teig des Alltags herausgestochene Kekse. Kostet man daran, merkt man, dass sie scharf gewürzt sind. Die Helden haben sich vom üblichen Leben abgewendet oder sind abgewendet worden. Als Leser muss man zuerst das Zutrauen dieser Figuren gewinnen, ehe sie einem dann doch ihre Geschichte erzählen. Und es entsteht beim Lesen jenes Glück, das letztlich nur scheinbare Außenseiter mit ihrer individuellen Schrulligkeit auslösen können.

Claudia Bitter, Verloren gehen. Erzählungen.
Wien: Klever 2008. 168 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-902665-00-3.

 

Weiterführende Links:
Klever-Verlag: Claudia Bitter, Verloren gehen
Homepage: Claudia Bitter

 

Helmuth Schönauer, 06-10-2008

Bibliographie

AutorIn

Claudia Bitter

Buchtitel

Verloren gehen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Klever

Seitenzahl

168

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-902665-00-3

Kurzbiographie AutorIn

Claudia Bitter, geb. 1965 in Oberösterreich, lebt in Wien.