Hans Platzgumer, Weiß

Buch-CoverWas passiert, wenn man aus dem gewöhnlichen Leben so heftig aussteigt, dass man nur noch weiß um sich "sieht"?

Hans Platzgumer schickt seinen Anti-Helden Sebastian Fehr ans Ende der Welt und versucht zu beschreiben, was in der extremsten Grenzsituation tatsächlich passiert. Frankfurt gilt als der Mittelpunkt der pragmatisch-faden, ökonomisch-unaufgeregten Welt, eine Bank ragt in die nächste hinein, ein durch-designtes Leben umarmt das nächste. Wer hier lebt und stirbt, hat letztlich nichts von der Welt mitbekommen.

Sebastian Fehr blättert ein Geo-Heft über die Arktis durch und fragt sehr klug, was ist eigentlich wichtig. Das Leben bisher hat nicht viel gebracht, auch wenn es durchaus spannend und schicksalhaft abgelaufen ist, etwa wenn der Vater durch wilde Fahrweise sich und die Mutter in den Tod gerissen hat. Aber das wahre Leben liegt am Antipoden von Frankfurt, irgendwo hinter Spitzbergen in der Schneewüste.

Aussteigen ist angesagt, Reduktion, heißt das Lebensziel, "Das Weiß der hohen Arktis leuchtet überall vor mir." (19)

In der Folge erleben wir Leser, wie ein moderner Held aus der modernen Welt aussteigt. Die Arktis ist immer noch jenes schrill-einfache Gebilde, das einst die Polarforscher verzückt und teilweise in den Tod gebracht hat. Eine Melange aus Außenseitertum, Expeditionslust, Selbstfindung und Extrem-Reise flutet durch den Roman, der manchmal als Geo-Bericht, dann wieder als historischer Wikipedia-Eintrag den darin agierenden Helden umspült.

Sebastian Fehr setzt sich schließlich selbst aus, indem er bei einem Landgang nicht mehr auf das Touristenschiff zurückkehrt. In vollem Wahn erlebt er die Grenzen des Lebens, pure physikalische Elemente schwappen über ihm zusammen und spülen ihn in ein Weiß, wie man es nicht beschreiben kann.

Als der Held wieder zu sich kommt, ist er offensichtlich von einer Rettungsmannschaft gefunden und von der Flugambulanz nach Deutschland überstellt worden. Langsam tastet er sich in die Zivilisation vor, schreibt blind Floskeln in sein Tagebuch und lernt fragmentarisch die Blindenschrift. Irgendwann kehrt er in seine alte Wohnung zurück, er aber empfindet sie völlig neu wie die gesamte Welt, die er nicht mehr sehen muss.

Drei gut leserliche Wörter, groß und nahezu schmuckvoll untereinander geschrieben in der Schrift eines Blinden. "Ich gehe zurück". (239)

Hans Platzgumers Extrem-Roman beinhaltet viele aufwühlende Elemente vom Ende der Welt, der Held stillt stellvertretend für uns Leser die Sehnsucht nach dem idealen Ausstieg, und je weniger es zu sehen gibt, umso ergreifender wird das Unsichtbare. Weiß ist tatsächlich eine Nicht-Farbe, die aus dem Jenseits zu kommen scheint.

Hans Platzgumer, Weiß. Roman.
Innsbruck: Skarabaeus 2008. 239 Seiten. EUR 19,90. ISBN 3-7082-3235-5.

 

Weiterführende Links:
Skarabaeus-Verlag: Hans Platzgumer, Weiß
Homepage: Hans Platzgummer

 

 

Helmuth Schönauer, 14-10-2008

Bibliographie

AutorIn

Hans Platzgumer

Buchtitel

Weiß

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

239

Preis in EUR

19,90

ISBN

3-7082-3235-5

Kurzbiographie AutorIn

Hans Platzgumer, geb. 1969 in Innsbruck, lebt als Musiker und Autor in München und am Bodensee.