Taras Prochasko, Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Buch-CoverWahrscheinlich ist momentan keine Literatur am Kontinent so wild wie die Ukrainische.

Taras Prochasko erzählt wild drauf los, Stoff ist alles, die Zeitgeschichte, die Verwandtschaft, das Leben in einem recht wackelig auf den Beinen stehenden Staat. Und wie Prochasko erzählt! Fürs erste ist alles einmal eine große Wurst, die prall und deftig aus dem Kutter des Lebens herausquillt.

Pünktlich alle zehn Zeilen wird diese Wurst abgebunden und mit einer Leerzeile durschossen, so dass der Eindruck entsteht, hier handle es sich um eine wohl komponierte Erzählung mit pingelig ausgezählten Prosa-Zellen.

In Wahrheit schießt der Text über alle graphisch gesetzten Dämme hinaus und überflutet den Leser mit einer Lebenssoße, deren einziger Sinn vielleicht darin besteht, dass man daraus ein paar Erzählungen machen kann.

Das scheint ja überhaupt die Hauptbotschaft zu sein: Das Leben, auch wenn es noch so verrückt abläuft, hat keinen anderen Sinn, als dass sich daraus ein paar Erzählungen formen lassen!

Gleich zu Beginn wird der Onkel verhaftet, da er aber ein guter Bauarbeiter ist, kommt er gar nicht bis ins echte Gefängnis durch, auf dem Weg dorthin muss er nämlich den Bonzen ihre Wohnungen renovieren und das kann beim Zustand der Gebäude Jahre dauern. Während dieses Arbeitseinsatzes wird natürlich schon längst vergessen, warum der Onkel überhaupt verhaftet worden ist, aber Ordnung muss sein, sodass der Onkel dann doch noch nach Sibirien verlegt wird, als einziger Politischer Gefangener unter lauter Kriminellen. Der Onkel hat also etwas Politisches ausgefressen, was bei diesem ukrainischen Staatsgewebe keine Kunst ist. An anderer Stelle beispielsweise erschießt ein russischer Offizier einen Reisenden, weil dieser Ungarisch spricht und in Ungarn gerade ein Aufstand stattfindet.

Das Leben ist brutal, wo immer es stattfindet. Im Innern eines Panzerwagens hat sich etwa eine so dicke Eisschicht gebildet, dass man kaum noch darin sitzen kann. Selbst wenn man also gepanzert ist und auf die Umgebung schießt, wird man von innen her angefressen und erfriert.

Verwandte tauchen in der Erzählung auf, kommen in den Schredder der Zeitgeschichte und sterben. Bekannte machen Kunst, werden verraten und verschwinden. In der Zeitung steht etwas von einem Unruheherd irgendwo auf der Welt, schon gibt es eine Verbindung zur Ukraine und ein paar Menschen segnen wieder einmal das Zeitliche.

Taras Prochaskos Text ist voller Anarchie, Eruption und Sarkasmus. Lakonisch wird ein Lauf der Geschichte beschrieben, gegen den die handelnden Personen keine Chance haben. Aber mit kluger Überlebensfrechheit lässt sich das Chaos austricksen, durch Schreiben etwa. Richtiges Schreiben bedeutet offensichtlich, dass man rechtzeitig aufhört. Deshalb heißt die zweite Geschichte dieses Erzählbandes auch trocken: "Wie ich aufhörte Schriftsteller zu sein".

Taras Prochasko, Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen. A. d. Ukrain. von Maria Weissenböck. (Orig.: Z coho mozna zrobyty kilka opowidan`, Lwiw 2005).
Frankfurt/M: Suhrkamp 2009. ( = es 2578). 124 Seiten. EUR 10,-. ISBN 3-518-12578-6.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Taras Prochasko, Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

 

Helmuth Schönauer, 04-03-2009

Bibliographie

AutorIn

Taras Prochasko

Buchtitel

Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Originaltitel

Z coho mozna zrobyty kilka opowidan`

Erscheinungsort

Frankfurt a. M.

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Suhrkamp

Übersetzung

Maria Weissenböck

Seitenzahl

124

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-.3-518-12578-6

Kurzbiographie AutorIn

Taras Prochasko, geb. 1968, lebt in Iwano-Frankiwsk (Stanislau).