Angelika Mayr-Gehler, s Fadele

Buch-CoverAn der Germanistik läuft seit Jahrzehnten jener Fach-Witz, wonach ein Professor seltsame Fügungen zur Prüfung gibt und der einzige, der die Klausur positiv abschließt, ist ein Ausländer, der soeben mühselig die deutsche Sprache gelernt hat.

Ein bisschen ist man an diese Prüfungssituation erinnert, wenn Angelika Mayr-Gehler aus der Ferne von Hildesheim ihre Südtiroler Mundart vorträgt. Streng aus der Erinnerung wird das Südtirolerische in jener Form zum Klingen gebracht, wie man es sich aus der Entfernung vorstellt.

Das Hörerlebnis auf CD wird im ersten Durchlauf von der sympathischen Stimme und der klugen zurückgenommenen Gesprächsführung fein gestaltet. Die Gedichte gehen nämlich ansatzlos in einander über, als ob jemand einen abendfüllenden lyrischen Dialog mit sich selbst führte. Heftig rauschen die Gesprächsfetzen vorbei, als ob man einem Small-Talk auf offener Straße begegnet, und während man stehen bleibt, entsteht der erdige Singsang dieser südtiroler Lyrik.

Angesprochen werden vor allem Themen, die man überallhin mitnimmt. Warum geht der Mann wortlos aus dem Gespräch hinaus, während die Frau noch Fragen hat? Warum entsteht eine gekrümmte Stimmung, obwohl die Stube ganz auf alt gemacht ist und permanente Kindheit evozieren soll?

Schon das erste Gedicht gibt das lyrische Konzept vor: Das lyrische Ich klaubt einen Faden auf, weiß nicht wo vorne und hinten ist, lässt das Fädchen durch die Hand fließen wie einen Rosenkranz und denkt sich dabei allerhand zum Sinn des Lebens. Nach ähnlicher Manier werden zwei Buchstaben aufgenommen, die Zeiger der Uhr beobachtet oder das Geschrei von Kindern als Familienglück dokumentiert. Ein leichter Reim krümmt die Gedanken zusammen, ohne dass es aber zurechtgebogen wirkt. Immer wieder gehen Alltäglichkeiten in pure Lebensanschauung über und kommentieren anhand von Kleinigkeiten die Hinterseite eines offensiven Lebens.

Als literarisches Versatzstück wird gar einmal der Erlkönig aus dem flachen Land in der Südtiroler Gebirgssprache dargestellt. (19)

SFadele wirkt aus einem Guss abgehört als magisches Erlebnis, das den Zuhörer aus dem Alltag entführt in eine scheinbar verzückte Natur. Manchmal werden archaische Erinnerungen an die Kindheit erweckt, dann kommt wieder jene leichte Melancholie zum Zuge, die durchaus die Ironie über das gerade Aufgerufene vordringen lässt, ohne dass das Zitat in sich zusammenbricht.

Das Buch ist als Booklet zur CD zu lesen, es sind nur die rechten Seiten bedruckt, so dass genug Meditationsfläche bleibt, um das Gehörte auch zu imaginieren. S'Fadele ist ein wunderschöner Versuch, das Unschuldige einer fernen Kindheit in einen schönen Abend zu verwandeln. Und solche Abende sind immer vom Einbruch der Realität gefährdet und daher zwischendurch soft kitschig.

Angelika Mayr-Gehler, s Fadele. Südtiroler Mundart aus der Ferne. + CD.
Bozen: Edition Raetia 2009. 149 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-88-7283-324-7.

 

Weiterführende Links:
Edition-Raetia: Angelika Mayr-Gehler, ’s Fadele

 

Helmuth Schönauer, 26-03-2009

Bibliographie

AutorIn

Angelika Mayr-Gehler

Buchtitel

s Fadele. Südtiroler Mundart aus der Ferne

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

149

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-88-7283-324-7

Kurzbiographie AutorIn

Angelika Mayr-Gehler, geb. 1967 in Lichtenstein/Ritten, lebt in Hildesheim.