Elmar Drexel, Lanser See
Mit der Geographie Unvertraute hören immer "Landser See" und vermuten schon die größte politische Unkorrektheit, wenn die Innsbrucker über das geliebte Badewasser sprechen. In Wirklichkeit aber ist der Lanser See ein kleiner Badesee südlich von Innsbruck, dem vermutlich beim Bau des Brenner-Basistunnels das Wasser abgegraben wird.
Elmar Drexel, der Meister der subtilen Erinnerung, erzählt von der verdampfenden Kindheit im Sommer, wenn er seinen Protagonisten zum Lanser See schickt. Für jeden Menschen gibt es jenen geheimnisvollen Ort, wo er die Kindheit abstreift und mit einem wagemutigen Sprung in die Pubertät hüpft.
Der Ich-Erzähler berichtet von den unsäglich vollgestopften Straßenbahnen, die bei Schönwetter halb Innsbruck auf den Lanser See befördern. Allein schon wegen der schönen Riemen, die sich durch die Garnituren ziehen und mit denen man an Haltestellen so herrlich abläuten kann, erwecken den Wunsch, Schaffner zu werden.
Auf der Liegewiese später muss der Schüler im Familienverband liegen und Hausaufgaben machen, zumindest versucht er es, aber der schöne Badetag ist durch die herumliegenden Hefte bereits verdorben. In seiner Verzweiflung massakriert er Käfer mit dem Zirkel und denkt an den bedeutenden Satz: Störe meine Kreise nicht.
Später zieht der Erzähler allein zum Lanser See, vorbei an dem erotischen Areal auf dem "Privat" steht. Beim Vorbeigehen am Bretterverschlag zischen in den Ritzen wie die Kader in einem Film die aufreizendsten Gestalten vorbei.
Die erste Liebe taucht im Gelände auf, setzt sich unkompliziert an den Badeteich und verschwindet wieder.
Ich legte den Kopf auf dem Bauch liegend zur Seite und betrachtete ihren Körper: Sie hatte eine wunderbare, bronzefarbene Haut, dunkles, langes, wildes, ungebändigtes Haar und kohlrabenschwarze Augen. Ihr ganzer Körper hatte immer etwas von einer gespannten Feder. Ich hatte das Gefühl, sie habe etwas von einer Rothaut - das trifft es am ehesten - etwas von einer Indianerin. (10)
Elmar Drexel erzählt mit zwei drei Szenen diese berührende Epoche, die einst aus jedem von uns so etwas wie einen Erwachsenen gemacht hat. Die kleine Welt am Lanser See öffnet dabei ihre Flügel und hebt schon während des Ereignisses ab zum großen Flug hinaus in die Welt.
Elmar Drexel betrachtet die Ereignisse wie einen seltenen Ausschnitt aus einer verloren gegangenen Fotografie. Aus diesem Grund ist in die Innenseite des Büchleins eine Schwarzweiß-Fotographie von Defner eingelegt. Ein paar Figuren tummeln sich am Lanser See, sie schauen in alle Richtungen und haben nichts Besonderes vor. Dennoch werden alle am Abend heim gehen und die Geschichte wird ihren Lauf nehmen. - Ein beliebiger Augenblick kann ewig berührend bleiben, wenn es ein guter Augenblick ist!
Elmar Drexel, Lanser See
Igls: Defner 2009. 12 Seiten.