Lydie Salvayre, Milas Methode

Buch-CoverIm Volksmund gibt es das gnadenlos genaue Wort vom ?Hirnwixen, wenn ein etwas unrunder Zustand zwischen Körper und Geist dargestellt werden soll.

Der Roman Milas Methode handelt von diesem Wechselspiel zwischen reinem Denken und purem Überleben. In eine Art Thesen-Roman schickt die Autorin Lydie Salvayre einen Ich-Erzähler in den Text, und dieser Held spinnt ordentlich.

Einerseits ist er von Paris extra aufs Land gezogen, um völlig zurückgezogen und konzentriert über Descartes philosophieren zu können, andererseits hat er seine schwer demente Mutter bei sich aufgenommen, die ununterbrochen ihre Notdurft verrichtet und in jeden Gedankengang des philosophierenden Sohnes mit einer absurden Fragestellung hineinplatzt. Die Mutter entspricht wohl der Nullstufe der Existenz. (63)

Während sich der Erzähler mit Vorstellungsmodellen des Todes (24) oder den Kriterien für eine Heilige (26) herumschlägt, lautet die Frage zwischen Mutter und Sohn bloß noch: Wer ist die Wunde und wer das Messer? (41)

Allmählich beginnt der Erzähler mit Descartes abzurechnen, obwohl er sich eingestehen muss: "Ich bin von heftiger Descartomanie befallen." (68)

Jetzt kommt die Wahrsagerin Mila ins Spiel. In mehreren Sitzungen forscht sie das Leben der Vorfahren aus, kommt in spanische Ur-Gegenden und gibt durch ungewöhnliche Fragestellungen dem Erzähler einen neuen Sinn. Dabei geht es durchaus praktisch zu, ihre Tochter übernimmt einen Teil der Mutter-Pflege, so dass jetzt für den Sohn Zeit bleibt mit Mila zu philosophieren.

In diese private Geschichte ist auch eine öffentliche Auseinandersetzung am Dorf eingebunden. In einer Entscheidung zwischen kleinkariert und human geht es um die Errichtung eines Abstellplatzes für Roma. Und zu allem Überdruss wird auch noch die Tochter vergewaltigt, so dass es für die Grande Dame Mila nicht leicht ist, weltoffen, über den Dingen stehend und cool zu bleiben.

Letztendlich kommt es, wie es in solchen Geschichten kommen muss. Der Erzähler verliebt sich in seine Therapeutin und beide beschließen, einen Mix zwischen Vernunft und Erotik anzugehen, sie nennen es "Milas Methode". Sie werden diese Methode aufschreiben, damit es nicht bloß bei Erotik bleibt.

Lydie Salvayre erzählt in drei Kapiteln quasi drei Vorgangsweisen, wie man aus der eigenen Denkspirale herauskommen könnte. Der Dreischritt "denken - wurzeln - lieben" führt letztlich zu einer Methode, womit sich mit sich selbst Frieden schließen lässt.

Ein schöner Roman über die Höhen des Philosophierens und die Tiefen des Daseins.

Lydie Salvayre, Milas Methode. Roman. A. d. Französ. von Claudia Kalscheuer. [Orig.: La méthode Mila; Paris 2005].
München: dtv 2006. ( = dtv premium 24559). 177 Seiten. EUR 14,50. ISBN 978-3-423-24559-X.

 

Helmuth Schönauer, 26-07-2009

Bibliographie

AutorIn

Lydie Salvayre

Buchtitel

Milas Methode

Originaltitel

La méthode Mila

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

dtv

Übersetzung

Claudia Kalscheuer

Seitenzahl

177

Preis in EUR

14,50

ISBN

978-3-423-24559-X

Kurzbiographie AutorIn

Lydie Salvayre, geb. 1948 in Südfrankreich, ist Kinderpsychologin und lebt in Paris.