Serhij Zhadan, Hymne der demokratischen Jugend

Buch-CoverNicht umsonst gilt die Ukrainische Literatur als die wahnsinnigste der Welt, sie ist nämlich nach Osten und Westen hin gleich lose oder sehnsüchtig verankert, ihr ist kein Thema zu schade, und in einem Staatsgefüge, das täglich aus dem Leim geht, gilt jeder fiktionale Satz automatisch als Staatstragend.

Serhij Zhadan stellt mit seinen sechs Erzählungen ein Stück dieser fiktionalen Realverfassung vor, der Titel Hymne der demokratischen Jugend lässt sich an Zynismus kaum übertreffen, aber genau deshalb trifft es der Titel punktgenau.

Inhaber des besten Schwulenklubs der Stadt (7) nennen sich die Protagonisten der Startgeschichte. Kein Mensch braucht diesen Club, aber wenn schon denn schon, denken sich die Helden und lösen eine Kettenreaktion aus, Wachleute werden zusammengeschlagen, kaum ist etwas in der Kasse, türmt der Kassier und weit und breit ist kein Schwuler aufzutreiben, der das Etablissement nützen könnte.

In der Ballade von Bill und Monika (59) geht eine Liebe insofern an die Grenze, als sie sich in Suff und Körperfülle auflöst. Am Schluss kann die ganze Beziehung nur noch als Abschreckung für andere herhalten, die sich auch ins Extreme wagen.

Vierzig Waggons usbekische Drogen (73) erzählt von den Geschäften, die halboffiziell im Untergrund stattfinden. Was an der Börse fiktional verschoben wird, geschieht hier real. Da bricht schon einmal eine Garnitur ans Ende der Welt auf, um irgendwelche skurrilen Gerätschaften, Baumaterialien oder eben Drogen zu organisieren. Eine Garnitur voller Drogen duftet übrigens mit jedem Waggon anders.

Besonderheiten des Schmuggels von inneren Organen (125) zeigt das Staatsgefüge kurz vor dem alltäglichen Umkippen.

Dein ganzes Leben ist ein Kampf gegen das System. Wobei du, Scheiße auch, zwar mit ihm kämpfst, das System dich aber gar nicht bemerkt. (130)

Am besten schmuggelt man innere Organe übrigens im Originalzustand und unversehrt über die Grenze, wo man sie sich dann entnehmen lassen kann.

Laß den Priester nur reden, das Lustigste kommt zum Schluß. (137) Unter diesem Titel soll in einem verwinkelten Studio ein Film gedreht werden, der weder Inhalt, Botschaft noch Handlung hat. Letztlich geht es darum, ein Sendeformat mit cineastischem Abstrahlungsmaterial zu füllen.

"Metallist nur für Weiße" (175) - jemand versucht, die wichtigsten Überlebensregeln in eine Botschaft zu fassen. Obwohl der Start mit dem Satz "Demokratie" beginnt mit dem Mord an deinem Dealer noch recht brauchbar gelingt, kippt das ganze Regularium dann bald ins Absurde.

Serhij Zhadan erzählt wie aus der Trance des Alltags heraus, manchmal sind die logischen Koordinaten offiziell verrückt, dann ist es bloß das Individuum, das keinen rechten Winkel der Erkenntnis zusammenbricht. Allmählich ist alles schräg, die Geschichte, die Helden, die Ukraine. Sagenhaft wild!

Serhij Zhadan, Hymne der demokratischen Jugend. A. d. Ukrain. von Juri Durkot und Sabine Stöhr. [Orig.: Himn demokratycnoi molodi, Charkiw 2006].
Frankfurt/M: Suhrkamp 2009. 185 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-518-42118-5.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Serhij Zhadan, Hymne der demokratischen Jugend
Wikipedia: Serhij Zhadan

 

Helmuth Schönauer, 22-10-2009

Bibliographie

AutorIn

Serhij Zhadan

Buchtitel

Hymne der demokratischen Jugend

Originaltitel

Himn demokratycnoi molodi

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Suhrkamp

Übersetzung

Juri Durkot / Sabine Stöhr

Seitenzahl

185

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-518-42118-5

Kurzbiographie AutorIn

Serhij Zhadan, geb. 1974 in Starobilsk, lebt in Charkiw.