Rosmarie Thüminger, Mit offenen Augen
Die Angst und das Gefühl der Demütigung sind in der Todeszelle so groß, dass die bevorstehende Hinrichtung wie eine Erleichterung empfunden wird. Adele Stürzl stirbt am 30. Juni 1944 durch das Fallbeil.
Eingespannt zwischen dieser Angst des Wartens und der Inschrift des Todes beschreibt Rosmarie Thüminger das Leben der Politikerin, Frauenrechtlerin und Kommunistin Adele Stürzl.
In Wien geboren, muss sie bald einmal aufs Land zu einem brutalen Pfarrherrn und wird dort gedemütigt und malträtiert, bis sie wieder nach Wien flüchtet und in einem Haushalt arbeitet. In Wien wird sie erstmals mit der aufkeimenden Sozialdemokratie konfrontiert und erkennt, dass es einen Sinn macht, wenn man um sein Schicksal Bescheid weiß und für die Verbesserung der Verhältnisse kämpft.
Während des Ersten Weltkrieges lernt sie in Budapest ihren Mann kennen, es wird geheiratet und die beiden ziehen nach Kufstein. Der Mann kommt als einer der wenigen unversehrt aus dem Krieg zurück.
In Kufstein baut Adele Stürzl eine politische Frauengruppe auf. In unruhigen Zeiten sitzt der Hauptfeind oft in den eigenen Reihen, es gibt ein permanentes Ringen zwischen den einzelnen linken Strömungen. Eines Tages reicht es Adele Stürzl und sie wird Kommunistin.
Das Leben im Österreich der Zwischenkriegszeit ist eine Tortur. Ständig gibt es Hausdurchsuchungen und als der Austrofaschismus das Sagen hat, werden Andersdenkende ständig verhaftet, verhört, überwacht und wieder verhaftet.
Und in der Nazizeit genügt dann schließlich der Vorwurf, Geld für die Rote Hilfe gesammelt zu haben, um hingerichtet zu werden. Nach längerer Haft in der Innsbrucker Herrengasse wird Adele Stürzl schließlich nach München überstellt und hingerichtet.
Rosmarie Thüminger erzählt zurückgenommen die einzelnen Stationen, aber aus den Dialogen ist die Bewunderung für die Kämpferin herauszulesen. Gerade die Auseinandersetzungen innerhalb der politischen Linksfraktionen sind bemerkenswert und zeigen, dass es oft an einem einzigen Tisch in der Provinz nicht möglich ist, ein einheitliches Kampfprogramm aufzustellen.
Wie kann das Individuum persönliche Rechte umsetzen, ohne in einer Bewegung oder einem übergeordneten Programm aufgehen zu müssen? Das ist die permanente Frage des Kommunismus und Rosmarie Thüminger zeigt, wie herzzerreißend diese Auseinandersetzungen oft ablaufen. Und dann diese Szene in der Todeszelle gleich zu Beginn des Romans: Politisches Bewusstsein ist kein Honiglecken und ist, ernst genommen, eine Sache zwischen Leben und Tod. - Für unsere politisch leichtfertige Zeit ist es aufrüttelnd zu sehen, wie Menschen sich oft für Demokratie aufgerieben haben, ohne dass es ihnen jemand gedankt hätte.
Rosmarie Thüminger, Mit offenen Augen. Adele Stürzl. Eine Annäherung.
Innsbruck: TAK 2009. 211 Seiten. EUR 22,50. ISBN 978-3-900888-46-6.
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Tiroler Autorinnen und Autoren Initiative