Joseph Zoderer, Die Farben der Grausamkeit

Buch-CoverHäuslbauen kann ihre Psyche zerstören! - Diese frustrierende Warnung alter Immobilien-Haudegen in den Alpen kreist wie ein Geier über der Seele des Helden, der durch die poetische Banalität der Zeit hindurch muss, um sich letztlich selbst zu finden.

Joseph Zoderers Roman Die Farben der Grausamkeit ist etwas, das in der Fan-Gemeinde eines Autors gerne mit ?Spätwerk bezeichnet wird, eine geduldige Abrechnung mit dem Sinn des Lebens und Schreibens, eine zeitirrelevante Betrachtung der Tage, ein aufregender Kommentar zu einem Leitfaden des Glücks.

Beim Helden Richard geht es drunter und drüber, obwohl es so etwas wie eine Ordnung und saubere Gliederung im Roman gibt. In den drei Kapiteln "Das Haus", "Eine Mauer der Freiheit" und "Meeressand" wird Richard zerrissen zwischen der Geliebten Ursula, der Ehefrau Selma und der Retro-Geliebten Miguela, wie sich Ursula in ihrem zweiten Auftritt nennt.

Der weltgewandte Journalist Richard baut wie wild an einem Haus an der Waldgrenze herum, um einerseits die Geliebte zu vergessen, andererseits durch Knochenarbeit einen Sinn zu finden. Obwohl das Haus wie beim späten Adalbert Stifter den Lauf der Natur und der Liebe in eine Schatulle bringt, brennt mit ihm die Sehnsucht durch. Seine Frau weiß um seine amourösen Umtriebe und nennt ihn ziemlich verbittert einen Lügner. Die Freunde aus der Stadt besuchen zwar recht aufmerksam das Ehepaar, das mit den zwei Kindern in der Wildnis lebt, aber jeder Tagesgast ist froh, wenn er bei Einsatz der Dämmerung wieder aus dem Fluchthaus verschwinden kann.

Als in Berlin die Mauer bricht, lässt sich Richard noch einmal in die weite Welt als Korrespondent versetzen und trifft naturgemäß wieder auf Ursula. Sie ist inzwischen ebenfalls verheiratet, nennt sich Miguela und die Geschichte geht erneut los. Quer über den Kontinent jagen sich die Liebenden, während zu Hause die Frau in Einsamkeit zerbricht.

Am Schluss sind beide Frauen schwanger und die heftige Dreiecksgeschichte geht einem lapidaren Ende entgegen. Das Kind der Geliebten wird abgetrieben, über das eheliche Kind kommt Freude auf.

Joseph Zoderer schickt seinen Helden immer an die Grenze des Kitsches, nie gibt Richard eine Ruhe, tagaus tagein grübelt er, und alles muss in Formulierungen und poetische Sätze gekleidet werden. Dabei ist Richard ein Gefühlschamäleon, das sich jeweils der Farbe der Stimmung anpasst. So enden die Kämpfe oft kraftlos in einer puren Farbe, manchmal ist es eben die Farbe der Grausamkeit.

In das Ringen des Helden sind jeweils Selbstreflexionen, Kommentare als innerer Monolog oder schlichte Lebensrezepturen eingeflochten.

Es hilft nichts, an manchen Tagen kannst du in deine Seele hineingreifen wie in ein dunkles Astloch. (199) Ich will immer der sein, der ich jetzt bin. Er wollte leben. Was anderes hatte er denn gelernt? (261)

Alle Erlebnisse münden früher oder später in einer Farbe, hinter der die Betrachtung zu Ende ist, ?ihm erschien alles, was er sah, als etwas Ausgestelltes, als wäre alles gipserner Pudding oder eine gipserne braun-rot bemalte Wurst. Aber auch die erotischen Handgriffe werden so lange abgespult, bis sie in einem bunten Bild am Ende sind. Da springt der kosende Richard über den Körper der gerade zu bearbeitenden Frau wie ein Forscher auf dem Weg durch Grönland.

Wo vermutlich jeder Mensch aufhören würde mit dem Herumwühlen in der Sprache, setzt dieser Mann all seinen Sprachschatz auf eine Karte und pokert ins semantisch Ungewisse hinein. Zwischendurch eitel, wehleidig, selbstbesorgt will dieser Richard in der Liebe alles übers Knie brechen, Satz für Satz.

Gleichzeitig entfaltet die Welt ihre Unbekümmertheit, denn obwohl beispielsweise in Berlin Weltgeschichte geschrieben wird, hat es auf den Luststrom des Suchenden keinerlei Einfluss. Und auch das Haus am Waldrand stemmt sich Tag für Tag gegen die Natur und schützt die Insassen, wenn sie es zulassen.

Jetzt begann sein Chamäleondasein, diese Fähigkeit, fremd zu sein, gleichzeitig jedoch die Farbe des jeweiligen Daheims anzunehmen. Mit dem ersten Schritt über den Kies unter dem winterkalten Kirschbaum war er nirgendwo anders als hier, mit dem ersten Tritt auf dem von ihm noch ausgestreuten, großkörnigen Kies war er zu Hause und gleichzeitig der König von Nichtsundwiedernichts. (231)

Über diese zähe Geschichte der Selbstfindung ist schließlich eine Handlung wie in einem Groschenroman gespannt. Das Haus wird wunderschön, wenn man lange genug daran herum baut, die Familie ist ein großer Halt, wenn man sich darauf einlässt, die Kinder machen einem zwischendurch sogar Freude, wenn man einen Blick dafür hat. Und hinter jedem Glücksmoment kann sich jäh der pure Kitsch auftun, wenn man nicht rechtzeitig aufhört mit dem Garteln und Basteln und Herumhantieren an Devotionalien des Alltags.

Joseph Zoderers Farben der Grausamkeit sind oft wie plakative Kübel eines extrem zur Schau gestellten Innerlichkeitswahns über die Leser gestülpt. Der Held Richard ist einer von uns, wie er alt wird und ständig Kinder zeugt, wie er sich ständig beruhigen will und nicht zur Ruhe kommt. So viel Liebe kann in keiner Umarmung liegen, dass nicht ständig der Schutz suchende Held heraus flutscht und ins Bodenlose fällt.

Ein ganzes Kapitel des Romans handelt von diesem ?Gras des Lebens, das die Figuren streicheln, abtasten, gar liebkosen. Dabei erstarrt das Bild vom Gras an manchen Tagen zur Idylle.

Auf den abgemähten Wiesen grasten nun Kühe und Kälber hinter dünnen Elektroschnüren, Holzzäune gab es kaum noch zu sehen. Für die Buben waren diese Vierbeiner wie eben aus einem indischen Dschungel herausgetreten, irgendwie in Vertretung der Elefanten; den besten Beweis dafür sahen sie, wenn eine Kuh den Schweif hob und gleich darauf braune Fladen in Rezension: Joseph Zoderer, Die Farben der Grausamkeit Tellergröße auf die Wiese platschen ließ. (78)

Trotz aller Selbstzweifel und Selbstabreibungen beim Erzählen verströmt dieser Roman dann doch diese Ruhe, die wir Leser uns von einem Spätwerk erwarten. Ja es lohnt sich zu kämpfen und zu erzählen, aber dann gilt es die Ruder einzuziehen und das Boot nicht zum schaukeln zu bringen. Die Farben der Grausamkeit - ein herbstlich beruhigender Roman.

Joseph Zoderer, Die Farben der Grausamkeit. Roman.
Innsbruck: Haymon 2011. 335 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-85218-684-9.

 

Helmuth Schönauer, 31-01-2011

Bibliographie

AutorIn

Joseph Zoderer

Buchtitel

Die Farben der Grausamkeit

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Haymon

Seitenzahl

335

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85218-684-9

Kurzbiographie AutorIn

Joseph Zoderer, geb. 1935 in Meran, lebt in Bruneck.