Hans Platzgumer, Der Elefantenfuß

Buch-Cover

Es gibt Themen in den Ritzen der öffentlichen Welt, die sind allein schon beim Zitieren ein Stück Literatur.

Tschernobyl, das Desaster im Dreieck Russland, Weißrussland und Ukraine aus dem Jahre 1986, ist so ein literarisches Weltereignis, worin Tod, Sinn, Exklusivität, Skurrilität, Romantik und Zeitlosigkeit mit einem einzigen Wort zusammengefasst werden können.

Hans Platzgumer entflicht diesen Mythos Tschernobyl mit einer klar strukturierten, aber im Sinne der Kernspaltung aufgebrochenen Kammer-Story. Unter dem magischen Titel ?Elefantenfuß, wie der wuchtige Klumpen genannt wird, der vom explodierten und notdürftig eingeschweißten Reaktor geblieben ist, wird eine gespaltene Geschichte erzählt, worin in einem weiten Land ein paar Menschen auf Leben und Tod zusammentreffen.

Da kann es schon passieren, dass man als Leser zwischendurch mehrere Lesezeichen braucht, weil oben und unten auf dem Seitenbild andere Geschichten verlaufen und man diese nur mühsam synchron zu lesen vermag.

Also liest man ein Stück voraus, wie ein sogenanntes Gott suchendes Paar an die Grenze der technischen Schöpfung fährt, während an der Unterleiste Überlebende reflektieren, wie 1986 der Reaktor in die Luft geflogen ist, quasi als radioaktives Ende des Schöpfungsberichts.

Später tauchen an der Unterleiste Touristen auf, die mit dem Dosimeter kontrolliert gerade noch an die Grenze des Schädlichen gehen wollen.

In der Grundstory wollen zwei sogenannte Gottsucher die Schöpfung von hinten her aufrollen, sie reisen daher von Genf nach Pripjet, um anhand der kaputten Sachen zu begreifen, wie es gemeint war. Dabei gibt es durchaus moralisch-naive Sätze, wie es Soft Hippies made in Tschernobyl zwischendurch aus der Seele fährt. Letztlich sedieren sie sich mit Medikamenten gegen die Todeszone.

Alex und Igor sind nicht nur im Textbild unten, weil sie ihren Platz nicht irgendwo in der Hauptstadt Kiew sondern hier in der Todeszone festlegen. Sie haben nach dem GAU ihre Angehörigen bestattet, jetzt experimentieren sie mit dem eigenen Leben. So öffnet sich Alex beispielsweise in einem Wahn-Anfall selbst den Schädel (84), was ihm aber in dieser absurden Welt nichts auszumachen scheint.

Ich habe ein Loch in meinem Schädel, da fliegt alles raus, was für mich schädlich ist. (127)

Touristen, Ex-Bewohner und Abenteurer streifen durch die Todeszone, den Dosimeter in der einen, eine Waffe in der anderen Hand. Und wie in einem Hybrid-Universum sehen wir Leser Dinge, die es im Biologie-Atlas gar nicht geben dürfte.

Es scheint echt zu stimmen, was man über die Zone sagt, nämlich dass hier ein jeder zum Philosophen wird. (135)

Hans Platzgumer, der mit seinen Figuren schon im Chip der Musikindustrie und im Eis der Pole war, schickt seine Gedankenträger wieder an das Äußerste. Kann das Karwendl der nächste Schauplatz sein? fragt der besorgte Leser, der wie immer Lust nach Extremschüben des Erzählens hat.

Hans Platzgumer, Der Elefantenfuß. Roman, mit Fotos aus der Todeszone
Innsbruck: Limbus 2011, 238 Seiten, 19,80 €, ISBN 3-902534-43-9

 

Helmuth Schönauer, 08-03-2011

Bibliographie

AutorIn

Hans Platzgumer

Buchtitel

Der Elefantenfuß

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Limbus

Seitenzahl

238

Preis in EUR

19,80

ISBN

3-902534-43-9

Kurzbiographie AutorIn

Hans Platzgumer, geb. 1969 in Innsbruck, lebt als Musiker und Autor in München und am Bodensee.