Maridl Innerhofer, Zukunftserinnerungen
Jede Gesellschaft, die halbwegs demokratisch funktioniert, hat ein stilles Gewissen, das aus abgeklärter Distanz die Geschehnisse poetisch in die Zeitlosigkeit rückt.
Für Südtirol gilt Maridl Innerhofer als dieses stille Gewissen, ihr Gedichtband zum Neunziger heißt treffend "Zukunftserinnerungen" und spielt auf jenes Zeitfenster an, wo die Geschehnisse der Gegenwart in das Boot der Historie verfrachtet werden.
Der Lebenslauf der Autorin gleicht selbst einem Geschichtsbuch, der Vater wurde von den Faschisten ermordet, sie selbst wurde Opfer der Option und erst spät sesshaft. Vielleicht ist es der intensivste Lebenslauf, der sich ausmalen lässt, wenn es im Gedicht heißt:
Die Sekunden / die Stunden / ticken vorbei / ohne Feuerwerk / und ohne Geschrei // Am Abend / im Hut die Münzen / es sind nur / zwei oder drei ... (18)
Die Herausgeber Ferruccio Delle Cave und Martin Hanni haben Mundartgedichte und Gedichte in Hochsprache ausgewählt, die sich in fünf Stoffkreise oder Verfahrensweisen zusammenfassen lassen: Zukunftserinnerungen, Huamat, Gedanken und Traam, Jahreszeiten, Haikus/Tankas.
In allen Variationen taucht dabei eine feine Skepsis gegenüber dem hemmungslosen Tourismus aus, der das Land bei Tag und Nacht und zu jeder Jahreszeit zusammenfrisst. Dem Kitsch der Souvenirs stellt die Autorin in feiner Mundart einen poetischen Markt-Schrei der anderen Art gegenüber.
Boutique Tyrol // Kaafts Sovenirs / in dr Boutique Tyrol / kaafts den Kitsch / und troggs n huam / odr schenkts n irgenduan! / Gschmocklos sein tuat olm wohl - / kaafts Souvenirs in dr Boutique Tyrol! (21)
Auch im Interview, das im Anschluss an die Gedichte zusammen mit einer Fotogalerie abgedruckt ist, formuliert Maridl Innerhofer noch einmal substantiell:
Warum können die Leute, insbesondere im Tourismus, nie genug bekommen? Nach der Herbstsaison müssen sie dann alle zum Arzt oder selbst auf Kur. (89)
Diese hemmungslose Beschleunigung der Gesellschaft lässt sich vielleicht herunter bremsen durch Werte, die einen unbeirrbaren Ablauf verströmen. Der Jahreskreis ist verlässlich in seiner Abfolge, die Heimat ist etwas, was man sich in Jahrzehnten erarbeiten muss, Gedanken und Träume vertragen keine Zeitangabe.
Die Zukunftserinnerungen der Maridl Innerhofer sind vielleicht ein zeitloses Tagebuch einer genauen Beobachterin, vielleicht auch ein stilles Geschichtsbuch eines ganzen Landstrichs, und auf jeden Fall eine poetische Zustandsskizze des Landes, formuliert von einer moralischen Instanz.
Maridl Innerhofer, Zukunftserinnerungen. Gedichte in Mundart und Hochsprache, Abb. Herausgegeben von Ferruccio Delle Cave und Martin Hanni
Bozen: Edition Raetia 2011, 102 Seiten, 16,00, ISBN 978-88-7283-394-0