Egon Erwin Kisch, Die drei Kühe

In der Literatur gibt es immer wieder sogenannte Erzähl-Ikonen, das sind Geschichten, die über ihren Inhalt hinaus eine Geschichte der Rezeption als eigentliche Geschichte erzählen.

Die drei Kühe vom rasenden Reporter Egon Erwin Kisch sind so eine Erzählung. Der Inhalt ist aberwitzig grotesk, ein Tiroler Bauer aus dem Wipptal verkauft das Intimste seiner Identität, nämlich seine drei Kühe, um sich die Reise nach Spanien leisten zu können, wo er auf Seiten der Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg teilnimmt.

In dieser Story ist vom Aufbruch in eine internationale Weltzukunft die Rede, von Gerechtigkeit und vom Überwinden des verbretterten Bauern-Blicks. Es handelt sich gewissermaßen um einen Anti-Mythos zum gängigen Bauernbild, wo der Bauer meist bis zum Hals in der eigenen Scholle steckt.

Hinter dieser Geschichte, die je nach politischer Lage mal mehr oder weniger aktuell gedruckt und am Leben gehalten wird, steckt die Geschichte des Tiroler Kleinbauern Max Bair, der 1938 seine Kühe verkauft, nach Spanien geht und dort schwer verwundet wird. In einer Episode trifft er dabei auf Egon Erwin Kisch, der daraus diese berühmte Geschichte macht, die oft als Erzählung für zu kurz und als Reportage für zu lang empfunden wird.

Der wahre Lebens-Hammer trifft den Meta-Helden freilich, als er nach dem Krieg nach Tirol zurückkehrt und als Verräter und Außenseiter ziemlich unelegant wieder verjagt wird. „Bis jetzt hast du Larifari gemacht, jetzt tu einmal etwas Gescheites!“ Das sagen ausgerechnet ehemalige Nazis oder Wehrmachtler, die offensichtlich ihre Eroberungskriege nicht für Larifari halten.

Max Bair ist kurz in Innsbruck Funktionär der kommunistischen Partei, ehe er über Wien schließlich in die DDR gelangt, dort promoviert und in einem Planungsstab arbeitet.

Joachim Gatterer unterlegt seinen Kommentar zu dieser außergewöhnlichen, literarischen und „patriotischen“ Biographie mit raren Dokumenten, Briefzeugnissen und Fotos. In Zitaten kommen auch Zeitzeugen zu Wort, die die Rezeption der drei Kühe kurz auf den Punkt bringen: „Im Osten zu Tode gelobt, im Westen zu Tode geschwiegen.“

Hinter der Geschichte steckt freilich eine ziemlich zeitlose Moral: Seht her, so ergeht es einem Tiroler, der seine Kühe verrät und sich mit einer eigenen Meinung in die Welt hinaus begibt. – Grotesk, aufwühlend, nur allzu wahr!

Egon Erwin Kisch, Die drei Kühe. Eine Bauerngeschichte zwischen Tirol und Spanien. Mit Illustrationen von Oliver Mauprivez. Hrsg. und kommentiert von Joachim Gatterer.
Bozen: Edition Raetia 2012. 173 Seiten. EUR 13,90. ISBN 978-88-7283-425-1.

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Egon Erwin Kisch, Die drei Kühe
Wikipedia: Egon Erwin Kisch

 

Helmuth Schönauer, 14-01-2013

Bibliographie

AutorIn

Egon Erwin Kisch

Buchtitel

Die drei Kühe. Eine Bauerngeschichte zwischen Tirol und Spanien

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Edition Raetia

Herausgeber

Joachim Gatterer

Illustration

Oliver Mauprivez

Seitenzahl

173

Preis in EUR

13,90

ISBN

978-88-7283-425-1

Kurzbiographie AutorIn

Egon Erwin Kisch, geb. 1985 in Prag, gest. 1948 in Prag.<br /> Max Bair, geb. 1917 in Matrei/Brenner, gest. 2000 in Berlin.<br /> Joachim Gatterer, geb. 1980 in Bruneck, lebt in Innsbruck.