Albert Ostermaier, Lenz im Libanon

Lenz im Gebirg gilt in der Literatur als der Inbegriff eines Helden, den es aus sich selbst hinausgetrieben hat und der ohne Koordinaten im Gelände in Aufwallung und Auflösung herumirrt. Das Wahnsinns-Genie Georg Büchner hat mit der Erzählung „Lenz“ 1835 dem Schriftsteller-Kollegen Jakob Michael Reinhold Lenz ein Denkmal gesetzt.

In welches Ambiente müsste sich heute ein Schriftsteller begeben, will er in einen ähnlichen Ausnahmezustand gelangen? - Albert Ostermaier lässt seinen Lenz der Gegenwart in einen Libanon reisen, der in Flammen steht. Schon im Flugzeug packt ihn jener Schwindel, den einst den Helden im Gebirge gepackt hat. Als er in Beirut landet, stellt er lapidar fest: „Diese Stadt ist gefährlich wie ich.“ (12)

Mit Begleitern, deren Hintergrund rätselhaft ist, wird der Held durch die diversen Schreckens-Zonen der Stadt geschleust, halb im Stile einer Hilfsorganisation, halb im Gestus eines mit  Waffen handelnden Politfunktionärs. „Das hier ist Apokalypse, geschrieben von Beckett, überarbeitet von Stephen King.“ (35) Aus aller Welt sind die Söldner zusammengeströmt, jeder kämpft gegen jeden, alle Krisenherde der Welt haben hier her ihre Handlanger wie für einen zentralen Kongress der Gewalt entsandt.

Lenz versucht die Gewalt der Kamera mit jener der Kalaschnikow zu vergleichen, stundenlang zappt er sich durch Videos und Netz-Flashs, in denen geköpft, gepriesen und gemordet wird. Selbst im Hotel muss Lenz sofort den Fernseher einschalten, um sich zu beruhigen, dabei weiß er, dass der Tod immer noch analog ist trotz aller Digitalisierung seiner Bilder.

„Es ist ein Märchenland ohne Märchen“ (113) notiert Lenz, in seiner Verzweiflung versucht er etwas aufzuschreiben, zu sortieren und für eine imaginäre Geliebte in Sätze zu kleiden. Mitten in seinem Gedankenwirrwarr tauchen klare Analysen auf, die aber nach einem archaischen Mythos klingen. So hat Bush junior ganz im Stile eines byzantinischen Despoten nichts anderes im Sinn, als seinen texanischen Vater zu rächen und dabei die Welt in Brand zu setzen. Hinter diesen politischen Zusammenhängen sucht Lenz sich selbst.

Was ich hier suche? - Mich! (134)

Albert Ostermeier nützt die Kraft des Romans, um jene Dinge zu erzählen, die vielleicht schon längst die Regeln von Physik und Logik verlassen haben. Dabei setzt er manchmal dort ein, wo Nicolas Born 1979 mit seiner Fälschung hat aufhören müssen. Lenz im Libanon ist ein überschwappend mit grausamen Bildern ausgestatteter Orientierungsversuch, den ein angeschlagener Held in einem verwundeten Land in Angriff nimmt. Am klarsten sieht er, als man ihn entführt und eine Kapuze über den Kopf zieht. Lenz im Libanon kann nichts erklären, aber es tut sich beim Lesen ein Blick hinter jene Bilder auf, mit denen wir im Vordergrund Tag für Tag bestrahlt werden.

Albert Ostermaier, Lenz im Libanon. Roman
Berlin: Suhrkamp Verlag 2015, 189 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-518-42474-2

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Albert Ostermaier, Lenz im Libanon
Wikipedia: Albert Ostermaier

 

Helmuth Schönauer, 03-06-2015

Bibliographie

AutorIn

Albert Ostermaier,

Buchtitel

Lenz im Libanon

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Suhrkamp

Seitenzahl

189

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-518-42474-2

Kurzbiographie AutorIn

Albert Ostermaier, geb. 1967 in München, lebt in München.