Stephan Denkendorf, Die Hutfabrik

So etwas gibt es nur in der Literatur: Einen glatten Titel, flach wie ein Parkplatz, und gleich aufregende Lebenspraktika wie das Abschneiden von Warzen mit dem Taschenmesser und dem Geruch von am Dachboden Erhängten des letzten Winters.

Stephan Denkendorf greift in seiner Erzählung „Die Hutfabrik“ in die Seelenkiste voller pastellfarbenen Blutes, er trägt die Sätze kurz und dick auf, um eine Aura zu beschreiben, die im Prospekt als „1900“ ausgerufen ist und sich dann bis fast in die jüngste Gegenwart hineinzieht.

Held ist nach der alten historischen Lehre, wonach Gebäude die Geschichte abnicken, wenn sie diese überstehen, eine Hutfabrik geführt vom Clan der Pau. Die Paus sind Teil des Weltgeschehens und haben einen gewissen Defätismus entwickelt.

Letztlich ist es gleichgültig, welchem Stück Land man sein Leben ausliefert! (7)

Die Hutfabrik hat ihren Höhepunkt bei der Gründung, als der Kopf noch als etwas gilt, das der besonderen Zuwendung bedarf. Ein Hut nämlich ist ein individuelles Kunststück, das wie der Kopf aus einem Guss gefertigt ist. Nach der Belle Époque freilich wird der Hut gleich umgemodelt in eine militärische Bemützung, am ganzen Kontinent laufen vom Filz geschützte Rekruten auf einander zu und eröffnen das Feuer.

Der Krieg braucht Hüte! (34)

Die Geschichte spielt auf allen Etagen den Akteuren übel mit. Die Paus erleben den Niedergang ihres Hut-Imperiums, letztlich müssen sie vor der braunen Zeit nach Amerika flüchten und die Dynastie endet schließlich in einem merkwürdigen Unfall, den die Behörden ehrfurchtsvoll als mentalen Suizid deuten.

Die Arbeiter und ihre Familien werden ständig vom Zeitgeist gewürgt und wie der sprichwörtliche Filz durchgewalkt, zwischendurch heißt es einrücken, hungern, Revolutionen abführen, den neuen Geistern auf den Leim gehen. Und auch die beständige Fabrik punktet nur mit ihren Gebäuden, die darin abgewickelten Programme scheitern alle, vielleicht weil es um die Köpfe so schlecht bestellt ist.

Am Schluss versucht ein Maler das alles aufzuzeichnen und die Hutfabrik als Inspiration und geistige Filz-Lieferantin zu sehen. Aber der neue Zeitgeist verträgt keine Kunst, das Atelier brennt ab, Brandstifter und Verdächtige gibt es genug.

Stephan Denkendorfs Erzählung ist eine expressionistische Aufarbeitung eines Stücks Regionalgeschichte. Anhand einer stilisierten Firmengeschichte werden in schnellen Aufblenden Gefühle, Seelenfarben und politische Witterungslagen hin geblitzt. Die Weltgeschichte ist undurchschaubar und verfilzt, das Schicksal der Individuen ist eine Faser, die in die Geschichte unbarmherzig eingewalkt ist. - Eine grandiose Annäherung an die Kunst der Geschichtsschreibung.

Stephan Denkendorf, Die Hutfabrik. Erzählung
Krems: Edition Roesner 2015, 133 Seiten, 22,90 €, ISBN 978-3-902300-91-1

 

Weiterführender Link:
Edition Roesner: Stephan Denkendorf, Die Hutfabrik

 

Helmuth Schönauer, 22-08-2015

Bibliographie

AutorIn

Stephan Denkendorf

Buchtitel

Die Hutfabrik

Erscheinungsort

Krems

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Edition Roesner

Seitenzahl

133

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-902300-91-1

Kurzbiographie AutorIn

Stephan Denkendorf, geb. 1957 in Neunkirchen, lebt in Ebreichsdorf.