Walter Pilar, Lebenssee ~~~, Wandelalter

pilar_lebenssee.jpgDer Lebenssee, ein Kosmos aus dem geographischen Ebensee, der Kultur rund um den See und dem Leben eines darin wohnenden Chronisten, ist so etwas wie das Lebenswerk des Walter Pilar.

Nach Welle 1 (~), eine skurreale Entwicklungsromanesque, Welle 2 (~~), Gerade Regenbögen, springt jetzt Welle 3 (~~~) an Land. Der Titel ist verhältnismäßig schlicht, Wandelalter. Allerdings wünscht sich der Autor, dass man sich schon am Umschlag verliest und Wandel-Altar draus macht, denn das Buch ist wie ein Flügelaltar aufgebaut, dem man zu jeder Jahreszeit verschiedene Schwerpunkte der Anbetung entlocken kann. Ehrensache, dass es mit den drei Flügeln nicht getan sein wird und somit auch noch Borten, Zierrat und allerhand Befestigungshandwerk auftauchen.

Walter Pilar verwendet wie in einer Riesen-Ausstellung Stoffe, Gerüchte, Meinungen, Dokumente, Bilder und Sonderzeichen. Besonders stolz ist er auf Rufstrich und Fragestrich, wodurch er Dokumente mit Nachfragen anzweifeln und für den Zuseher relativieren kann.

Stoff ist alles, was sich in den letzten Jahrhunderten rund um Ebensee abgespielt hat, von der Muttertagsfahrt im Sonntagsboot angefangen, über keltisches Modedesign bis hin zum lange versteckt gehaltenen Lager Ebensee, das in dieser Erinnerungskette einen besonderen Drehpunkt darstellt, lässt sich doch die Psyche des heimischen Schlages am ehesten ablesen, wenn man ihn in Ausnahmesituationen beobachtet.

Das Lese-Auge lässt sich gerne auf diese vitrinösen Textgestaltungen ein, immerhin ist Walter Pilar auch Typograph, Gewebe-Designer und Chronist seltsamer Abläufe und Verrenkungen. Oft grast eine Geschichte völlig im Kleefeld des Dialekts, die Menschen rufen einander rätselhafte Silben zu und nicken, wenn sie sich verstanden fühlen. An anderer Stelle ist ein Text wieder ausradiert wie bei einer katastrophalen Schularbeit, die als Themenverfehlung benotet wird. Letztlich hängt alles mit allem zusammen, der regionale Kosmos spiegelt die besiedelte Welt wieder, der See das Firmament. Dazwischen schlägt der Flügelaltar Wellen, er kann nämlich in manchen Sequenzen wirklich in die Luft gehen.

Für Dinge, die es nur in der Pilarschen Welt gibt, muss der Autor oft eine eigene Pilar-Sprache erfinden, ein Mittelding zwischen Bildbeschreibung und Dialekt. Letzten Endes wird die gesamte Welt auf Hackschnitzel in Vitrinengröße zusammengeschreddert und anschließend durch neue Zusammenstellung zu einer plastischen Pellets-Welt von Kommunikationsfragmenten ausgeformt.

Der Leser staunt, geht in die Knie, begreift die dargestellten Dinge und Sätze, wie man sonst Spielzeug begreift, und beschließt, die Welt nach dieser Spielanleitung für wahr zu halten. - Ein wundersames Experiment, dem Individuum in der Welt das Überleben zu sichern.

Walter Pilar, Lebenssee ~~~, Wandelalter. Zahlr. Abb. Zweite, verbesserte Auflage.
Klagenfurt: Ritter Verlag 2016, 384 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-85415-526-3


Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Walter Pilar, Lebenssee ~~~, Wandelalter
Wikipedia: Walter Pilar

 

Helmuth Schönauer, 08-01-2017

Bibliographie

AutorIn

Walter Pilar

Buchtitel

Lebenssee ~~~, Wandelalter

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

384

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-85415-526-3

Kurzbiographie AutorIn

Walter Pilar, geb. 1948 in Ebensee, lebt in Linz.