Tibor Noé Kiss, Stumme Wiesen

tibor noe kiss, stumme wiesenMagische Titel legen oft den Finger an die Lippen und flüstern ein Geheimnis. „Stumme Wiesen“ sind eine Verheißung von Stille, worin man Geschichten tuscheln hört, stumme Wiesen sind vielleicht aber auch etwas Schreckliches wie die Killing Fields.

Tibor Noé Kiss nimmt die Leserschaft wie für eine Abendgeschichte bei der Hand und führt sie irgendwie hinaus in die Entlegenheit. Wir befinden uns in einer peripheren Zone, zuerst gibt es noch eine Siedlung, später dünnt sich alles aus und der Blick endet im landschaftlichen Nichts.

Die geographische Verortung ist unbestimmt, außer dass sich die Siedlung in der ungarischen Ebene befindet. Auch die Zeit ist vage, fix ist nur, dass die Siedlung schon einmal bessere und vernünftigere Zeiten gesehen hat. Geblieben ist von früher eine Anstalt mit Insassen, von denen man nicht weiß, wofür sie einsitzen oder gegen was sie geschützt werden.

Die Bevölkerung ist aufgespalten in Einzelteile, jeder geht seine Wege, zusammengehalten werden sie höchstens vom Alter, es gibt kaum Junge im Dorf und wenn, dann nur in Erzählungen.

Es passiert nicht viel in so einer Gegend, und wenn etwas geschieht, ist es ein Verlust oder ein Unglück wie gleich zu Beginn, als jemand sein Gebiss verliert. Im Bus hat er es noch in die Tasche gesteckt, weil es ihn gezwickt hat, dann beim Aussteigen oder Schnäuzen ist es in das Gras gefallen, auch suchen hilft nichts, ab jetzt muss es eben ohne Gebiss gehen.

In den Strom der Ereignislosigkeit wird durch monströse Kapitelüberschriften so etwas wie Handlung hineinprojiziert. Nur dieser Sumpf, Hallo Kinder, Hört auf damit, Für alle wäre es besser so, Warum ist es hier nicht gut für dich, Noch schöner als deine Mutter. Diese Kapitel fallen wie Alltagssätze beim Kartenspiel, werden geseufzt beim Einkaufen, man wirft sich im Smalltalk solche Sätze zu, ehe man weitergeht.

Manchmal wird überhaupt nichts geredet, etwa wenn der Nachbar über den Zaun steigt und die Nachbarin in der Küche wortlos von hinten nimmt und wieder verschwindet. Die Speise erleidet keinen Schaden und der Mann wird später nichts vom Vorfall bemerken.

Sogar die Frauen tranken, heißt es lapidar (31), dabei dreht sich nicht einmal mehr alles ums Saufen, es geht eher um die Anlässe, die einem in einer solchen Gegend ausgehen. Schlimmer als der Staub war nur der Schlamm! (53) Und dann gibt es sogar noch Schlimmeres, den Schnee, worin das Schwein endlich verblutet, nachdem es dem ersten Schlachtversuch noch scheinbar entkommen ist.

Es gibt eine Dunkelheit, dass es einem das Herz zuschnürt. (89) Und warum bleiben dann alle hier? Die Bewohner haben noch allerhand von früher in Erinnerung und wissen, dass es aussichtslos ist, wegzugehen, die Siedlung ist von stummen Wiesen umgeben, über die kein Schrei nach außen dringt.

Diesen Roman kann man als negativen Touristenprospekt lesen, als Aussteigerszenario, psychisches Verwirrspiel oder Metapher für den ganzen Staat. Aus allen Perspektiven zieht einen dieser Roman in die Siedlung hinein und setzt einen darin fest, bis man glaubt, dass eine Entkommen nichts nützen würde. - Eine seltsame Hymne an die Peripherie!

Tibor Noé Kiss, Stumme Wiesen. Roman, a. d. Ungar. v. Eva Zador
Wien: Nischen Verlag 2017, 177 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-9503906-5-0

 

Weiterführender Link:
Nischen Verlag: Bücher

 

Helmuth Schönauer, 22-10-2017

Bibliographie

AutorIn

Tibor Noé Kiss

Buchtitel

Stumme Wiesen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Nischen Verlag

Übersetzung

Eva Zador

Seitenzahl

177

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-9503906-5-0

Kurzbiographie AutorIn

Tibor Noé Kiss, geb. 1976, lebt in Pécs.