Jörn Birkholz, Das Ende der liegenden Acht

jörn birkholz, das ende der liegenden achtDer Weltuntergang muss nicht schrecklich sein, er kann Erleichterung und Sinn verschaffen, wenn zuvor alles schiefgeht.

Jörn Birkholz stellt mit dem „Ende der liegenden Acht“ so etwas wie einen umgekehrten Katastrophen-Roman vor. Üblicherweise sieht man bei Katastrophenfilmen zuerst immer eine heile Welt, wobei viel geturtelt und geliebt wird, ehe beispielsweise der Vulkan ausbricht. Bei Jörn Birkholz ist zuerst die Hartz-4-Hölle los, der Held versinkt im eigenen Hormonstau, auf allen Stockwerken gehen die Lebensentwürfe flöten. Da wirkt es geradezu wie eine Verheißung, als sich die Nachricht verbreitet, ein Atomkraftwerk sei in die Luft geflogen.

Clemens hat es als Vierzigjähriger im Job so weit gebracht, dass er sich immer wieder loslösen kann, um seine Netz-Bekanntschaften zu pflegen. Auf einer eigenen Dating-App verwaltet er die Termine seiner Affären und taucht immer dort auf, wo eine Frau gerade Zeit und Lust für eine erotische Aktion hat.

In Rostock bleibt er etwas länger bei Birgit hängen, zum einen, weil sie ihn innig wild liebt, und zum anderen, weil die Alternativfrauen terminlich verstellt sind. Freilich explodiert das Treffen mit Birgit, als immer mehr Verwandtschaft auftaucht, Tochter, Bruder, Exmann. Alle sind auf Hartz-4 gesetzt und haben untereinander Schulden, die sie mit Gewalt und Alkohol gegenseitig herausprügeln. Auf engstem Raum werden die Zustände ins Gesicht gebrüllt, zumal im Hintergrund ständig doofe Musik auf Rentnerlautstärke läuft. Selbst das Kleinkind wird im sexuellen und atmosphärischen Showdown nicht verschont, und das Jugendamt hätte alle Hände voll zu tun, die diversen Übergriffe zu entwirren.

Dieser Rostock-Aufenthalt wird in Ich-Perspektive von Clemens erzählt. Längst überwallen ihn die Ereignisse und er selbst kann höchstens SMS an die nächste Frau schicken, dass es noch dauern wird.

Im zweiten Teil geht alles in die Luft. In einem Gewaltakt holen sich die Beteiligten, was ihnen angeblich zusteht, alte Rechnungen und Schulden werden mit Faustschlägen beglichen. Und dann bricht die Apokalypse aus, ein AKW ist hochgegangen. Den tragischen Helden, die eben noch aufeinander eingeprügelt haben, bleibt jeglicher Sinn im Hals stecken, nicht einmal ein Handy kann mehr helfen, in das man die Verzweiflung hineinspucken könnte.

Die Wolke war über Rostock. Erste kleine Regentropfen landeten auf Scheiben, größere sollten bald folgen. Ich begann Rotz und Wasser zu heulen wie ein Kind. Meine Zeit lief ab. (107)

Auf dem Cover ist die liegende Acht als auswegloses Zeichen für die Unendlichkeit oder als Symbol einer Lemniskate-Übung ausgepixelt. Vielleicht ist diese liegende Acht jene berühmte Cloud, in der unsere Lebensentwürfe gespeichert sind, und die im Roman zu Boden gefallen ist. Vielleicht ist das Ende der liegenden Acht eine ferne literarische Auswirkung aus Thomas Pynchons „Enden der Parabel“, mit der niemand gerechnet hat.

Jörn Birkholz, Das Ende der liegenden Acht. Roman
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2017, 107 Seiten, 12,80 €, ISBN 978-3-903125-16-2


Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Jörn Birkholz, Das Ende der liegenden Acht
Literaturportal: Jörn Birkholz

 

Helmuth Schönauer, 09-11-2017

Bibliographie

AutorIn

Jörn Birkholz

Buchtitel

Das Ende der liegenden Acht

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

107

Preis in EUR

12,80

ISBN

978-3-903125-16-2

Kurzbiographie AutorIn

Jörn Birkholz, geb. 1972, lebt in Bremen.