Nils Röller, Bittermeer

nils röller, bittermeerIn der Chemie und in der Literatur geht es vor allem darum, intelligente Verbindungen zu finden. Die Verbindung Kunst, Sex und Mathematik klingt so logisch, dass man nie einen Zweifel hegt, sie könnten nicht zusammengehören.

Nils Röller ist Mitherausgeber des online-Journals „Kunst, Sex und Mathematik“. Damit werden einerseits alle wichtigen Felder der Gesellschaft abgedeckt, andererseits zeigt die Verbindung dieser Komponenten Zusammenhänge, die man auf den ersten Blick nicht vermuten würde.

Das Übersetzungsprojekt „Bittermeer. Mare amoroso“ ist eine Art Logbuch, angelegt während der Übersetzung eines anonymen toskanischen Gedichtes, das zwischen 1270 und 1280 entstanden sein dürfte. Mare amoroso ist ein Liebesgedicht, das aus dem Ruder läuft, die Liebe gelingt nicht wie erwartet, und was bleibt, ist so etwas wie Bitternis.

Der Übersetzer sitzt in einer Wohnung nahe am Zürcher Hauptbahnhof, der umgebaut wird. Die Gleise gleichen einem Meer, auf dem ständig Schiffe hinaus ins Freie unterwegs sind, um irgendwohin über zu setzen. Fallweise wird auch der Übersetzertisch in der Wohnung zu einem Schiff, welches das Gedicht von einer Sprache in die andere transferieren soll.

Obwohl das Gedicht bloß 334 Zeilen hat, ist es von ordentlichem Gewicht und muss ständig mit allerhand Vorrichtungen und Stützen aufrecht im Sinn gehalten werden. Zuerst einmal wird es sorgfältig aufbereitet und in der Originalsprache zeitgemäß zerlegt. Teile davon können wie eine App in kleinen Portionen spazieren getragen werden. Aus Wörterbüchern wird zusammengetragen, was für die damalige Zeit passt. Welche Rolle spielt Kaiser Friedrich der Zweite dabei? Einen Kaiser jedenfalls braucht es, er muss den Matrosen einen Sinn geben und ihre Arbeitskräfte bündeln, wenn sie auf See sind.

Allmählich verlassen Sinneinheiten das Original-Gedicht und nisten sich als Datensatz im PC ein. (37) Die überstehenden Wörter werden in einer eigenen Liste eingetragen, vielleicht kann man die Wörterbücher zurückgeben, denn jetzt geschieht auch das Übersetzen online.

Jedes Wort kostet Zeit. Der Dichter hat sie gesetzt. (48)

Die Materie ist sehr Zeitintensiv, nicht nur der Originalaufwand, auch die Zeit dazwischen und der Aufwand jetzt in der Gegenwart müssen berücksichtigt werden.

Kann man das Übersetzen mit dem Gleisbau drunten am Bahnhof vergleichen? Immerhin stehen auch die Arbeiter unter Druck, bei laufendem Betrieb die Gleise zu erneuern, Zeile für Zeile, Vers für Vers.

Ich ermögliche eine Verbindung zwischen den Pflanzen auf dem Fensterbrett und dem Gedicht. (53)

Zwischendurch geht es ans Eingemachte, vielleicht sollte man Meer mit Ordnung übersetzen? Das würde vor allem Bibliothekare freuen, die in allem eine Ordnung sehen. Das Meer klingt jetzt wie das Bittere der Liebe. Die Übersetzung des Gedichtes bestimmt den Text.

Gegen Ende des Logbuchs ist dann eine Übersetzung da, sie hat 334 Zeilen, aber es ist noch viel Material übriggeblieben, aus dem sich ebenfalls Gedichte machen lassen.

Nils Röller installiert in diesem Begleitbuch zu einer vorgeblichen Übersetzung eine Theorie des Übersetzens und pfleglichen Umgangs mit Texten aus einer anderen Zeit. Das alte Gedicht wird neu geschaffen, indem es bei fließendem Alltagsbetrieb für die Gegenwart umgebaut wird. Dabei entsteht Lärm, der auch Poesie sein kann.

Nils Röller, Bittermeer. Mare amoroso
Wien: Klever Verlag 2017, 164 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-903110-23-6

 

Weiterführende Links:
Klever Verlag: Nils Röller, Bittermeer
Wikipedia: Nils Röller

 

Helmuth Schönauer, 24-10-2017

Bibliographie

AutorIn

Nils Röller

Buchtitel

Bittermeer. Mare amoroso

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Klever Verlag

Seitenzahl

164

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-903110-23-6

Kurzbiographie AutorIn

Nils Röller, geb. 1966 in Wilhelmshaven, ist Professor für Medientheorie in Zürich.