Christian Steinbacher, Gräser im Wind

christian steinbacher, gräser im windDas Trivialste und Geilste, das man sich in der Literatur vorstellen kann, ist Gras. Nicht nur, der biblische Vers, „alles Fleisch wird Gras“, weist auf die Besonderheit von Gras hin, auch der Top-Roman des Nobelpreisträgers Claude Simon heißt schlicht „Das Gras“.

Christian Steinbacher nimmt das Gras zum Ausgangspunkt für seine poetische Abhandlung, die bei ihm Abgleich heißt. Als Vorspann ist dem Gräser-Werk eine zweifache Übersetzung einer Szene aus Simons Gras vorangestellt. Selbst der Laie erkennt, dass Gras bei jedem Anblättern anders wird. Im Roman dient das Gras einerseits als Stoff für ineinander Verwachsenes und als Unterlage für Seitensprünge, die manche Helden mitten im Absatz durchführen.

Wenn man Gräser in den Wind stellt, entsteht etwas Unvergleichliches, das Christian Steinbacher als solches hinstellt. Zwar unterteilt er seinen Abgleich in vier Kapitel, die von persisch-dänischem Keimgut, Seilschaften in den Gräsern, verrückten Auflagen oder Kirschkernen berichten. Letztlich aber geht es immer um poetischen Stoff, der aus einer Bewegung, aus dem Alltag oder einem Nachschlagewerk heraus neu entworfen wird. So trottet einmal ein Hund durch den Text, um zu zeigen, wie zufällig genau der Trott eines Hundes sein kann. (62)

Um diesen Zusammenfluss von Zufälligkeiten zu visualisieren, ist eine Zeitlang eine Fotoserie installiert. Aus scheinbar gleichen Bildern winkt ein Arm in den Himmel, von wo aus eine Wolke zurückwinkt und in den Arm zurückfließt als Arm-Materie.

Die Gliederung eines Textes in Überschrift, Zusammenfassung und Fließtext wird ausgehebelt, indem die Funktionen vertauscht werden. Eine Beiläufigkeit kann eine Überschrift ergeben, eine Randbemerkung kann zu einer Faustregel werden, belanglose Seufzer können Wendepunkte in einem Dialog sein.

So tritt öfters das Paar Erika und Elmar auf, um die Welt mit einem Furz-Satz zu dokumentieren, „ach das, ach was, warum nur warum nur“.
Die Seilschaften im Gräser-Abteil sind zu satten Untersuchungen ausgebaut mit Sequenzen wie

Guckloch vor Inuit (106)
Beizen oder ätzen? (139)
Aus den Fugen, aus dem Sinn (186).

Die entsprechenden Untersuchungen haben nur am Rande mit der Überschrift zu tun, aber wie bei einem Fehlerrätsel haben sie einen kleinen Anker eingebaut, der dem Leser zugeworfen wird.

Dem Leser kommt immer wieder eine entscheidende Rolle zu, er muss die einzelnen Kapitel wie Gletscherspalten überwinden, auf dem Gras des Erzählens wassern, während dieses sich selbst kompostiert, und Begebenheiten wie eine wichtige Adresse aus dem Text herausreißen, um zur Meta-Bedeutung vorzustoßen.

Die Erzählmethode Christian Steinbachers wird oft mit Elementen des Fluxus in Verbindung gebracht, man könnte sie aufgedonnert vielleicht „interaktiven Fluxus“ nennen, denn was sonst könnte aus einem Abgleich der Gräser im Wind herauskommen? – Ein raffiniertes Poesie-Biotop, klar und verfilzt wie Gras.

Christian Steinbacher, Gräser im Wind. Ein Abgleich, mit Fotos von Elisa Andessner
Wien: Czernin Verlag 2017, 312 Seiten, 28,00 €, ISBN 978-3-7076-0617-1

 

Weiterführende Links:
Czernin Verlag: Christian Steinbacher, Gräser im Wind
Wikipedia: Christian Steinbacher

 

Helmuth Schönauer, 09-11-2017

Bibliographie

AutorIn

Christian Steinbacher

Buchtitel

Gräser im Wind. Ein Abgleich

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Czernin Verlag

Illustration

Elisa Andessner

Seitenzahl

312

Preis in EUR

28,00

ISBN

978-3-7076-0617-1

Kurzbiographie AutorIn

Christian Steinbacher, geb. 1960 in Ried im Innkreis, lebt in Linz.