Isabella Breier, DesertLotusNest

isabella breier, desert lotus nestIm idealen Roman steigt man als Leser nicht nur ein bisschen aus, sondern vollkommen. Der ideale Roman liefert neben den Heldinnen und der Handlung daher gleich auch das Wertesystem mit, mit dem man der fiktionalen Fliehkraft begegnen kann.

Isabella Breiers Roman tritt in Gestalt eines wissenschaftlichen Handbuches auf. Der Titel deutet auf eine Rarität hin, die gerade entdeckt und erforscht worden ist, die Anmerkungen zur Poetik des Phönix zeigen unbekannte Studien, und ein Fußnotenapparat zitiert ein Werk der Autorin, das erst in ein paar Jahren erschienen sein wird.

Obwohl die einzelnen Quellen und Theorien wunderbar miteinander verzahnt sind, ist doch gegenüber der Wissenschaft Obacht geboten, vielleicht nämlich ist alles ganz anders.

So ist DesertLotusNest eine Freizeitanlage auf der iberischen Halbinsel, die von einem Erwachsenenbildungsinstitut betreut wird. Langzeitarbeitslose können hier ähnlich unterhalten werden wie sonst Schwer-Erziehbare auf Segelschiffen. Neben dem Relax gibt es vor allem Bildung, und da die übliche Bildung in der üblichen Arbeitswelt nichts zählt, kommt hier ein philosophisches Programm zur Anwendung, das auf einen gewissen Antoine Bachsirad (1879-1979) zurückgeht.

Obwohl dieser Bachsirad im Anhang mit einem hundert Jahre langen Lebenslauf gewürdigt wird, ist er natürlich eine Phantomerscheinung wie seine Lehrstühle und Aufsätze, die er angeblich ab- und ausgesessen hat.

Aber nicht nur die zentrale Figur des Philosophen ist eine Fiktion, auch die handelnden und behandelten Personen sind das, was von ihnen in Romanen erwartet wird: Akteure für die Fiktion. So stellt sich gleich einmal Esther als Ghostwriterin für wissenschaftliche Arbeiten vor, als sie einen Desert-Kunden wie eine Fata Morgana auf dem Wüstenpfad meditieren sieht. Eine Zahra bearbeitet fiktionale Protokolle aus dem Nachlass, eine Leonore ist Spezialistin für das Spätwerk, alle werden am fetten Buch über die Poetik des Phönix mitarbeiten, das im DesertLotusNest entsteht.

Zwischen einem Nest, das es vielleicht so gar nicht gibt, und der Philosophie, die es so nie gegeben hat, tun sich plötzlich Sinnfelder auf, die das Leben erträglich machen, weil sie nichts mehr mit dem Leben zu tun haben. Das ganze Leben nämlich ist vielleicht eine Langzeittherapie, während der man Zustände und Ereignisse wie erzählbare Geschichten beschreibt. Die verschiedenen Nuancen der Erkenntnis sind jeweils mit einem eigenen Schriftbild markiert, es geht aber nur darum, diverse Schichten herauszuarbeiten, zwischen denen wahrscheinlich keine Verbindung besteht.

So liegen dann handelnde Personen, emotionale Gefühlsträger, Ghostwriter und Fake-Literaten in einem Relax-Ressort herum, das mit der restlichen Welt fast nichts zu tun hat, außer dass man manchmal nach draußen telefoniert. Vielleicht ist alles nur eine neue Religion oder ein grandioser Witz.

Isabella Breier ermuntert mit diesem fetten Wissenschaftsroman dazu, diese akademischen Bohrungen einfach als gelungene Löcher stehen zu lassen, die therapeutisch durchaus wertvoll sind. Obwohl in der Hitze von DesertLotusNest kaum gelacht wird, ist dieses sinnlose Bemühen der Protagonisten durchaus zum Lachen. Eine gewisse Lebensbalance sollte man für dieses fröhliche Ameisenspiel freilich mitbringen.

Isabella Breier, DesertLotusNest. Anmerkungen zur Poetik des Phönix
Weitra: Bibliothek der Provinz 2017, 526 Seiten, 24,00 €, ISBN 978-3-99028-679-1

 

Weiterführende Links:
Bibliothek der Provinz: Isabella Breier, DesertLotusNest
Wikipedia: Isabella Breier

 

Helmuth Schönauer, 22-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Isabella Breier

Buchtitel

DesertLotusNest. Anmerkungen zur Poetik des Phönix

Erscheinungsort

Weitra

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Bibliothek der Provinz

Seitenzahl

526

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-99028-679-1

Kurzbiographie AutorIn

Isabella Breier, geb. 1976 in Gmünd, lebt in Wien.