Stefan Moster, Die glückliche Amsel
„Eine Amsel sucht mit ihrem orange leuchtenden Schnabel so emsig nach Körnern, dass sie den großen Schatten nicht kommen sieht. Plötzlich deckt er sie zu, und sie kann vor Schreck nicht fliehen. Der große Schatten hält sie fest. »Flieg davon!«, rufe ich.“
Die glückliche Amsel ist ein poetisches Kinderbuch zum Thema „Kindesmissbrauch“ durch Erwachsene. Mit viel Einfühlungsvermögen wird Missbrauch aus der Innenperspektive eines betroffenen Kindes erzählt, aber auch die Schwierigkeit gezeigt, das Erlebte zu verstehen und mitzuteilen.
In der Einleitung erlebt das erzählende Kind, von dem offen bleibt, ob es sich um einen Buben oder ein Mädchen handelt, die dunkle Bedrohung symbolisch an einer Amsel, die den großen Schatten nicht erkennen kann, der nach ihr greift. Der leuchtende Schnabel des Vogels verliert seinen Glanz.
Das Kind ist von einer fürchterlichen Ambivalenz geplagt, und sehnt sich einerseits nach der Geborgenheit und dem guten Duft der Eltern. Auf der anderen Seite steht der fahle Geruch des großen Schattens, der dem Kind die Luft abschnürt, noch lange in Nase und Mund weiterwirkt und den Appetit raubt.
Das Kind kennt das Gesicht des großen Schattens. Doch wenn er sich zu sehr nähert, zerfällt es in Einzelteile, in Auge, Nase, Zähne und lässt nicht mehr erkennen, ob es freundlich gesonnen ist oder böse. Auch die Hände des Schattens erlebt das Kinder als widersprüchlich. Mal als hilfreich und freundlich und dann wieder als gefährliche Schattenhand.
Ich kenne Gesicht, Hand und Stimme. Ich kenne den Menschen zu dem das Gesicht, die Hand und die Stimme gehören.
Das Kinderbuch „Die glückliche Amsel“ erzählt von Kindesmissbrauch und den Schwierigkeiten der Kinder mit dem psychischen Druck fertig zu werden, der sich aufbaut, wenn sich Vertrauenspersonen als Täter erweisen. Mit viel sprachlichem und künstlerischem Einfühlungsvermögen werden die Verzweiflung und Ängste geschildert, die Kinder durchleben, wenn sie dem zwiespältigen Verhalten von Erwachsenen ausgeliefert sind.
Ein überaus wichtiges und empfehlenswertes Kinderbuch, das von Gewalt betroffenen Kindern helfen soll, Dinge zu verstehen und zu benennen, um mit therapeutischer Hilfe den Käfig der Sprachlosigkeit und Ängste zu überwinden und wieder frei wie ein Vogel fliegen zu lernen.
Stefan Moster, Die glückliche Amsel. Ill. v. Nadia Faichney, ab 10 Jahren in psychotherapeutischer Begleitung
Karlsruhe: Monterosa Verlag 2019, 38 Seiten, 41,00 €, ISBN 978-3-942640-11-4
Weiterführende Links:
Monterosa Verlag: Stefan Moster, Die glückliche Amsel
Wikipedia: Stefan Moster
Homepage: Nadia Faichney
Kinderschutz Tirol
Andreas Markt-Huter, 29-11-2019