Michaela Hinterleitner, Räuber der Meere

michaela hinterleitner, räuber der meereIn den Sehnsuchtsvorstellungen vom Meer liegt im Unterbewusstsein meist noch etwas brach: Raubfische, Raubtiere, Seeräuber, Raubbau an der Natur.

Michaela Hinterleitner versammelt diese Störungen im weiten blanken Meer mit den Zustandsbeschreibungen „verbissen, vertieft, verschwommen und vernetzt“. Diese vier Zustände sind auch an Land verwendbar, diese vier Zustände sind vielleicht die Windrichtungen, in die unser Gemeinwesen täglich verblasen wird.

So ist natürlich das Meer die Hauptschaltfläche, auf der die Gedichte „spielen“, gleichzeitig aber kommen typische Kleinbiotope wie Inneneinrichtung, Waldviertel oder Mimikry zu ihrem Auftritt.

Ilse Kilic verwendet daher die Parodie-Ode als lyrische Form, um in ihrem Vorwort das große Meer mit einem kleinen Gedicht zu besingen. „O Michi, ein Meer liegt im Gedicht!“ Das Meer wird dabei zu einer großen Folie, welche die zarten Pflänzchen der Poesie an Land schützt wie die Frühjahrsfolien über dem jungen Gemüse.

An dieses Plastik im Meer wird man immer wieder erinnert, wenn es um die Räuberei mit scharfen Zähnen geht. Vom harten Brot, das es mit haifisch-scharfen Zähnen zu nagen gilt, über die scharf gerissenen Wunden der Liebe bis hin zu einem Krabbenverzierten Festtagsteller ist alles auf Zerkleinerung und Auflösung spezialisiert. Alles, was wir einst verpackt und geschützt haben, landet als großer Brei im Meer, bis dieses selbst aufgefressen und ausgeräubert ist mit Mikro-Plastik. Das Meer ist wie die Sehnsucht eine gefährliche Idylle!

Im Meer verstecken sich freilich immer noch genug seltsame Gestalten, die manchmal an Land schreiten um eine Sage vorzutragen oder ein Märchen auszusitzen. Bei den kleinen Medusen heißt es:

es ist schön, die opfer zu umarmen / bevor man sie frisst. (13)

Das lyrische Ich wird dabei zu einem Fremdkörper mit großen Vorsätzen.

Es ist mir ein Bedürfnis, das Kommende vorherzusehen oder vorhersagen zu können. Ich schwimme darauf zu und nenne es Leben. (23)

Im modernen Literaturbetrieb wird das Meer natürlich als Veranstaltungsort für Lesungen genutzt. Für die sogenannten Unterwasserlesungen werden daher poetische Tipps an die Autorinnen ausgeliefert.

1. Atmen Sie nicht. 2. Verpacken Sie den Text in fischmaulgerechte Bissen. 3. Vermeiden Sie es, sich bei spannenden Passagen zu fest auf die Lippen zu beißen. Haie stehen auch 2017 immer noch auf Blutgeruch im Wasser. 4. Lassen Sie Ihre Gedichte langsam an die Oberfläche aufsteigen, wenn Sie vom Tiefenrausch erfasst werden. 5. Ertrinken Sie nicht während des Vortrags, das Publikum wird es Ihnen danken. (59)

Unterstützt wird die Poesie von den Räubern der Meere durch allerhand Bildbeiträge, die mit Gezeiten, Mürräne, Quattrobussi oder Phantasiegedicht einer Muschel überschrieben sind. Fritz Widhalm und Ilse Kilic stellen Meer und Gedicht wie eine Sanduhr auf den Kopf: Im Gedicht liegt ein Meer / Im Meer liegt ein Gedicht.

Wir Leser tauchen ins Gedichte-Meer von Michaela Hinterleitner, wenn wir wieder an Land gehen „lassen wir uns fallen / virtuell“. (76)

Michaela Hinterleitner, Räuber der Meere. Lyrik, mit einem Vorwort von Ilse Kilic, Bildbeiträge, Nachwort von Hermann Hendrich
Wien: Edition ZZOO 2018, 98 Seiten, 13,50 €, ISBN 978-3-902190-35-2

 

Weiterführender Link:
Edition ZZOO
Homepage: Michaela Hinterleitner

 

Helmuth Schönauer, 05-04-2018

Bibliographie

AutorIn

Michaela Hinterleitner

Buchtitel

Räuber der Meere

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition ZZOO

Seitenzahl

98

Preis in EUR

13,50

ISBN

978-3-902190-35-2

Kurzbiographie AutorIn

Michaela Hinterleitner, geb. 1979 in Wien, lebt in Wien.