Mohammed Khair-Eddine, Es war einmal ein glückliches Paar
Gegen alle Physik ist es vielleicht denkbar, daß ein Kreisel eines Tages zur Ruhe kommt, aber nicht umfällt, sondern auf der Spitze stehen bleibt.
Etwas von dieser merkwürdigen Ruhe hat der alte Bouchaib, der in den südlichen Bergen Marokkos den wichtigsten Text seines Lebens aufschreibt, worin alles, was wichtig ist, vorkommt und geklärt wird.
"Gehst du gar nicht mehr aus? ? Nein! Wenn ich schreibe, schließe ich mich ein." (84) Das alte Paar redet sehr behutsam miteinander, die wichtigen Dinge sind bereits besprochen, jetzt geht es um die Nachreifung der Sätze und des Lebens. Bouchaib schreibt ohne Zorn, was alles schief gelaufen ist in den letzten Jahrzehnten.
Manches ist ein kurzer Abriss der jüngeren Weltgeschichte aus der Sicht eines Berbers im weltentlegenen Marokko aus gesehen. Aber auch die unmittelbare Geschichte des Landes hat es in sich. Wie überall geben ein paar Reiche den Ton und die sogenannte Kultur an, sie sehen in der Hauptsache ausländische Fernsehprogramme, weil den Reichen die eigene Identität immer als erstes abhanden kommt. Und wer es nicht zu Wohlstand gebracht hat, ist unruhig geworden und in den Norden gezogen, ohne genau zu wissen, was dort besser sein sollte.
Der Text wird zu einer große Hymne an die Gelassenheit. Die Haustiere, der Garten und überhaupt der Heimatrt haben die Zeit in die eigene Hand genommen und sind auf dem Weg, durch alles durchzutauchen, was sich scheinheilig aufgetürmt hat.
Der Ruf des weisen Mannes muß doch nach außen gedrungen sein, denn ab und zu kommen Schüler oder vielleicht sind es auch Aussteiger aus der gängigen Weltordnung, die sich die Geschichte Bouchaibs anhören. Beim Leser entsteht bald einmal eine große Gelassenheit. Hier werden durchaus scharfe analytische Überlegungen angestellt, aber das Maß ist beeindruckend, irgendwo schwebt ein großes Augenzwinkern über das ganze Leben.
Tatsächlich ist die Geschichte vom glücklichen Paar eine Abschiedsgeschichte in mehrfacher Hinsicht. Einmal wird ein halbes Jahrhundert Zeitgeschichte abgelegt und gefaltet für die Erinnerung, zum zweiten ist es eine optimistische ?Melanchode?, worin das Leben zu einem handfesten Text wird, und schließlich ist es das Vermächtnis des Autors, Mohammed Khair-Eddine starb 1995, nachdem er die Erzählung wie in Trance in knapp einem Monat fertig gestellt hatte.
Da es sich beim Roman auch um ein Stück Kulturtransfer handelt, sollte man noch auf die Übersetzungskunst Patricia A. Hladschiks hinweisen. Sie nimmt sich vollkommen zurück und übersetzt die Schlüsselbegriffe eher als Apposition, die sie zu den Originalbegriffen beistellt.
So vergißt man als Leser nie, daß man in der Welt Marokkos zu Gast sein darf, während man über den Text schweift. Es war einmal ein glückliches Paar ist ein meditatives, aufklärendes und optimistisches Buch, das einen vollkommen zu entführen vermag in jene Aura, wo die Dinge neu gewertet werden.
Mohammed Khair-Eddine, Es war einmal ein glückliches Paar. (Orig.: Il était une fois un vieux couple heureux, 2002). A. d. Französ. von Patricia A. Hladschik.
Mainz: Donata Kinzelbach 2004. 176 Seiten. 19,00 €, ISBN 3-927069-72-8.
Helmuth Schönauer 17-05-2004