Josiah Gilbert / George C. Churchill, Die Entdeckung der Dolomiten

josiah gilbert, die entdeckung der dolomitenDie Dolomiten gelten mittlerweile als über-erschlossenes Touristengebiet, das an manchen Tagen so von Menschen überwuselt ist, dass nichts mehr vom „bleichen Stein“ zu sehen ist, wie der Dolomit vor seiner Entdeckung durch Dolomieu 1789 geheißen hat. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass dieses Gebirge einmal leer und wild gewirkt hat wie heute vielleicht der Kaukasus.

„Die Entdeckung der Dolomiten“ ist ein Klassiker und Welterfolg. Der Band von Gilbert und Churchill stammt aus jener romantischen Zeit, als die Schweiz als Bergsteigerland entdeckt ist und man sich in gehobenen englischen Kreisen daranmacht, weitere wilde Gebiete zu besuchen und vor allem zu besteigen.

Die beiden Eroberer reisen meist mit ihren Frauen, was die Expeditionen zu Familienausflügen machen, die idealerweise den Tourismus ankurbeln. So werden vor allem die „kühlen, sauberen Gasthäuser“ besungen und das Territorium wird als „frommes Land“ bezeichnet, worin schon einmal dem Pfarrer die Kinnlade herunterhängt, wenn er echte Frauen sieht.

Die Kommunikation mit den Aborigines gelingt komisch bis romantisch, man sitzt unter einem Haufen von Käselaiben und erzählt, dass England gut tausend Stunden entfernt ist. An anderer Stelle fragt man nach dem Weg und kriegt ein Stimmengewirr, aus dem Zahlen von vier bis zehn für die gleiche Wegstrecke herauszuhören sind.

Die Entdeckungsreisen gelten weniger den Menschen und politischen Verhältnissen als den Bergen und Gräsern, weshalb man im Rosengarten „botanisierend“ unterwegs ist. Das Ganze mündet dann in nachgefärbten Zeichnungen und Stichen, die als Vorläufer der Selfies gelten können. Romantische Konstellationen und Motive sind gefragt, die sich auch gut vermarkten lassen.

Die Vermarktung ist auch der Grund, warum sich Erwin Brunner die Arbeit einer Neuauflage angetan hat. Obwohl der Dolomiten-Tourist generell sehr konservativ ist, hat man doch allerhand Staub aus dem Originaltext entfernen müssen. Aber jetzt ist wieder alles sauber und paletti, man kann den historischen Text den Touristen aufs Nachtkästchen legen, damit sie ihren Blick sachte von der Sauna in die Zirben hinausschweifen lassen können mitten hinein ins bleiche Gebirge.

Tourismus verträgt keine Schatten und schrägen Maserungen, daher ist dieser Dolomiten-Band der ideale Folder für romantisch-analoge Gedanken, die einem kommen, wenn man das Handy kurz zur Seite legt. Selbstverständlich gibt es in diesem schönen Band keine hässlichen Masten, aber überall Empfang. Und alle sind in den Bergen, ohne ein Geräusch gemacht zu haben bei der Anreise.

Ja, die Dolomiten sind was Schönes und Stilles, wenn man die Wirklichkeit ausblendet.

Josiah Gilbert / George C. Churchill, Die Entdeckung der Dolomiten. Herausgegeben von Erwin Brunner, mit Chromolithographien und Holzstichen [Orig. 1861; dt. EA 1865].
Bozen: Edition Raetia 2018, 319 Seiten, 24,90 €, ISBN 978-88-7283-635-4

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Josiah Gilbert / George C. Churchill, Die Entdeckung der Dolomiten
Wikipedia: Joshia Gilbert

 

Helmuth Schönauer, 19-04-2018

Bibliographie

AutorIn

Josiah Gilbert / George C. Churchill

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Raetia

Herausgeber

Erwin Brunner

Seitenzahl

319

Preis in EUR

24,90

ISBN

978-88-7283-635-4

Kurzbiographie AutorIn

Josiah Gilbert, 1814-1892, war Maler und Schriftsteller in London.

George C. Churchill, 1822-1906, war Anwalt in Manchester.

Erwin Brunner, geb. 1954 in Innichen, lebt seit 1982 in Hamburg.