Simon Konttas, Arme Leute

simon konttas, arme leuteIm Kapitalismus sind arme Leute die Systemverlierer, mit denen niemand mehr etwas zu tun haben will, wenn man ihnen das Geld abgezapft und nach oben hin umverteilt hat. Diese Armen tauchen dann noch verschämt in diversen Statistiken auf. Der Volksmund freilich verwendet den Begriff „arm“, um eine Schicht von Eigenbrötlern zu beschreiben, die in Ermangelung von Bildung den Konsum-Flow für den Lebenssinn halten.

Simon Konttas lässt in seinem Roman von den “armen Leuten“ eine Menge Protagonisten auftreten, die entweder über Patchwork-Familie, Schuljahrgang oder Grätzl miteinander zu tun haben. Über alle kann man aus der Hüfte heraus sagen: „Mei, ist der arm!“

Dabei ist die materielle Komponente dieser Armut nicht ausschlaggebend. Ein neureiches Paar beispielsweise hat sich in einer Villa mit Kiesbett so stark verbunkert, dass seine Tochter den Suizid zwingend machen muss, damit alle sehen, dass Protz allein nicht glücklich macht.

Die sinnstiftende Schicht dieses Romans ist die Jugend, die zur Vorsicht einmal den Konsum zelebriert, weil es sonst kein Angebot gibt. Mit dem Gebrauch einer Insider-Sprache quer durch das Netz glaubt man, eine passende Gegenkultur zur Leere der üblichen Worthülsen gefunden zu haben.

Das Netz freilich ist ein Luder und hält die Benutzer in Gefangenschaft, indem es ein Vokabular des Mobbings transportiert, das letztlich alle unglücklich macht. Einige flüchten in noch mehr Konsum, sie kosten beispielsweise das Wochenende bis zur Trink-Bewusstlosigkeit aus. Andere gehen einfach ins Shopping-Center, eine dritte Gruppe steigt überhaupt aus allen Regeln aus und versucht sich in einer politischen Haltung, welche an die „Identitären“ anstreift. Und natürlich sind auch extremistische Religionsausübungen ein Thema, aber hier geht es nur um Clan-Gehorsam und nicht um etwas Substanzielles, was ja bei Religionen ohnehin selten gegeben ist.

Natürlich muss man auch die Erwachsenen, wenn sie zu lange im eigenen Grätzl-saft braten, als arm bezeichnen. Die ältere Frau bewacht wie in einer Mundl-Folge den Hof, damit dort auch alles kuscht und kein unerwünschter Lärm entsteht. Der Trafikant pflegt mangels Lebenssinn eine Feindschaft mit dem Nachbarn und zerkratzt ihm das Auto. Denn welchen Sinn sollte es schon machen, ein Leben lang Zigaretten zu verkaufen? Jemand nennt das Ganze eine besoffene Gegend (61), an anderer Stelle ist von echten Proleten die Rede, die wie in einem Zoo angegafft werden.

In einer Welt, wo niemand eine Identität hat, gilt das Nachmachen von Trends als erwünscht. Wenn aber jemand das gleiche Kleidungsstück kauft, so ist das Grund für Streit. „Du Nachmacherin!“ (110)

Da die Erwachsenen nichts im Kopf haben, wissen sie auch nicht, worüber sie streiten sollen. Wortwechsel werden generell als Kampf ausgetragen, und die jeweils gegnerische Partei verbittet es sich anschließend, dass man in diesem Ton redet. (135)

Simon Konttas streut die Personen wie Würfel auf die soziale Fläche und alle würfeln eine eins, was keine Sieger aufkommen lässt. Es ist eine verrückt schlichte Welt, die die Helden als Leben herumtragen, sinnlos, planlos, volle Loser eben. Und als Leser muss man aufpassen, dass man in der ersten Reaktion sich nicht selbst über diese Szenerie stellt. Aber so lange die Gesellschaft vorne dem Kapitalismus huldigt, sitzen hinten die Helden und Leser als arme Leute.

Simon Konttas, Arme Leute. Roman
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2018, 162 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-903125-26-1

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Simon Konttas, Arme Leute
Literaturhaus Wien: Simon Konttas

 

Helmuth Schönauer, 11-05-2018

Bibliographie

AutorIn

Simon Konttas

Buchtitel

Arme Leute

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

162

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-903125-26-1

Kurzbiographie AutorIn

Simon Konttas, geb. 1984 in Helsinki, lebt in Wien und Baden.