Mark Z. Danielewski, Das Haus / House of Leaves
Kultbücher haben den Vorteil, dass man sie nicht zu lesen braucht. Es genügt meist ein leichtes Nicken und das Thema geht vorbei. Anders ist es hingegen mit Pionierbüchern, diese muss man fast lesen, wenn man die Entwicklung der Literatur verstehen will. Und dann weiß man bei diesen entscheidenden Scharnier-Büchern nie, wie man sie lesen soll, mit der Erfahrung der Vergangenheit oder dem Geist der Zukunft?
Mark Z. Danielewskis „Das Haus“ ist beides, Kult- und Pionierbuch, weshalb man es lesen muss, denn auch hier sticht der Ober (Pionier) den Unter (Kult).
"Das Haus" ist im vorigen Jahrhundert als Netz-Roman entstanden, dabei sind alle Elemente des Layouts, der Schrifttypen und der Verlinkung gleich ausprobiert worden, sobald es eine App dafür gegeben hat. Im Jahr 2000 besteht die sogenannte Pionierleistung darin, dieses Netz-Agglomerat in einen Roman zu verwandeln, der sich zwar haptisch mit Händen fassen lässt, sonst aber alles sprengt, was es an Elementen der Buchdruckerei gibt. 2007 wird der Roman ins Deutsche übersetzt, was ebenfalls eine große Leistung ist, da sich vieles zwischen den Zeilen im Layout abspielt, und Layout lasst sich besonders schwer übersetzen, das wissen wir von den Gedichten. 2018 schließlich gibt es noch einmal eine Pionierleistung des Hauses, als der Autor analog beim Sprachsalz in Hall auftritt.
Das Thema des Hauses ist im Untertitel versteckt, es handelt sich um etwas Unsichtbares, das es vielleicht gibt, und deshalb sollte man auf jeden Fall weitergehen, wenn man zufällig drauf stößt. Das Weitergehen könnte eine Methode sein, wie man diesen Text fassen kann. Indem man vorerst einfach blättert und blättert, wie es der Titel sagt, handelt es sich ja um ein Haus voller Blätter.
Es ist erstaunlich, was einem nach so einem Durchblättern alles in den Sinn kommt. Durch das Wegschauen, Drüberlesen und Weiterblättern bleiben einem schon allerhand Merkwürdigkeiten hängen, vor allem, wenn gegen Mitte hin der Text aufhört oder tropfenweise als verschollenes Morsezeichen auf das Blatt fällt.
Das Element der Verlinkung ist ansatzweise so gelöst, dass das Wort Haus immer blau geduckt ist. Da weiß man dann immer, dass man beim Thema ist und gleichzeitig kann man von einem Haus bis zum nächsten springen, es macht nichts, man gewinnt immer dabei.
Das Haus ist letztlich ein gigantischer Begriff, der schon fast an den Begriff Universum herankommt. Das Haus kann etwas aus dem Unterbewusstsein umschreiben, ein Dynastie subsumieren oder einfach das Netz sein, worin die Kommunikation stattfindet. So gesehen ist der zitierte Martin Heidegger ein früher Netzforscher, wenn er von der Sprache als dem Haus des Seins spricht.
Nach diesen Versicherungen und Hilfsgerüsten kann man sich an die Kernschichten des Romans machen. Sauber durch Schrifttypen getrennt tun sich drei Stränge auf:
Der Fotograf Navidson nimmt sich eine Auszeit und bezieht ein Haus, Umzug und Einzug will er in einem Film dokumentieren, aber er kommt nicht zum Einziehen, weil sich im Haus ständig neue Korridore und Schlünde auftun. Navidson wird seinem Namen gerecht und läuft als Navi durch geheime Kanäle. Über alles wölbt sich der Film „Navidson Record“, worin grobkörnig und ungeschnitten ein Labyrinth zu sehen ist.
In der zweiten Ebene analysiert der blinde Zampano den Film und ergänzt ihn mit allerhand Notizen und Querverweisen. Er ist der ideale Film-Rezipient, weil er blind ist und sich dadurch um die unsichtbaren Elemente eines Filmes kümmern kann. Das ganze Material landet wie in der Literatur üblich in einer Truhe, die in die Hände des Junkies Truant fällt.
Im dritten Strang kommentiert Truant sein eigenes Leben an der Peripherie der Gesellschaft, in dem er dieses als genauso nutzlos darstellt wie die gefundene Truhe. Anstatt Halt oder Ordnung zu verströmen, macht die Truhe mit dem „Hausrat“ nur Probleme und stößt seinen User in eine Depression.
Diese drei Ebenen durchkreuzen sich ständig und hebeln sich oft aus, indem in der Fußnote das genaue Gegenteil von dem bewiesen wird, was oben im Kerntext steht.
Zwischendrin gibt es Kommentare des Herausgebers, es tauchen Notizen von Zwischenhelden auf, die das bislang Erlebte kommentieren. Essays über das Haus versuchen Ordnung in den Texthaufen zubringen und in einem Anhang wird alles verwurstet, was bisher noch nicht semantisch verzehrt worden ist. Diese Anhänge sind im Original als Begleitheft erschienen, sie machen aber als eigene Ebene im Roman durchaus Sinn, weil es im Haus keine Grenze zwischen Kern und Schale gibt, so wie das Haus ja auch als Gebäude und Antimaterie auftaucht.
Eine Schlüsselszene für das Lesen ist sicher jener Hinweis, dass das Haus innen sechs Millimeter breiter ist als außen. Ganz ohne Gruselfaktor kann man diesen Vorgang oft bei Häusern feststellen, zumal man nach der Lektüre alle Häuser mit einem besonderen Schritt durchmisst.
Und wenn das Haus ein Roman ist? Dann ist dieser jedenfalls innen um sechs Millimeter breiter als außen. - Eine geniale Erweiterung der Literatur!
Mark Z. Danielewski, Das Haus. Roman, übers. v. Christa Schuenke [Orig. Titel: House of Leaves, 2000]
München: btb Verlag 2009, 832 Seiten, 19,60 €, ISBN 978-3-44273970-7
Weiterführende Links:
btb Verlag: Mark Z. Danielewski, Das Haus / House of Leaves
Wikipedia: Mark Z. Danielewski
Helmuth Schönauer, 22-08-2018